Mythen und Fakten über Wissenschaft: So erkennen und bekämpfen Sie Desinformation

Stellen Sie sich vor, Sie öffnen Ihr Handy und sehen ein Video: Ein Wissenschaftler in einem weißen Kittel erklärt, dass 5G-Netze das Coronavirus verbreiten. Der Ton ist klar, die Bilder sind professionell, die Sprache überzeugend. Sie teilen es - aus Sorge um Freunde und Familie. Ein paar Tage später erfahren Sie: Es war ein Deepfake. Der Mann im Kittel existiert nicht. Die Aussage ist eine Lüge. Und Sie haben sie verbreitet.

Diese Situation ist heute kein Einzelfall. Im ersten Quartal 2023 haben 48 Prozent der deutschen Internetnutzer:innen zwischen 16 und 74 Jahren falsche oder unglaubwürdige Informationen online gesehen. Die meisten davon kamen aus sozialen Medien - Facebook, TikTok, YouTube. Und es wird immer schwerer, zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden.

Was ist eigentlich Desinformation - und warum ist sie so gefährlich?

Desinformation ist nicht einfach nur ein Fehler. Sie ist gezielt verbreitete Falschinformation, mit dem Ziel, Menschen zu manipulieren, Ängste zu schüren oder das Vertrauen in Institutionen zu untergraben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) definiert sie klar: Es geht um bewusste Täuschung. Das unterscheidet sie von Misinformation, bei der jemand etwas Falsches glaubt und ohne böse Absicht weitergibt.

Warum ist das so problematisch? Weil sie genau dort zuschlägt, wo wir am verletzlichsten sind: bei Emotionen. Themen wie Gesundheit, Klimawandel oder Demokratie rufen starke Gefühle hervor. Wenn jemand sagt: „Die Regierung lügt über Impfstoffe“, dann geht es nicht um Daten - es geht um Misstrauen. Und Misstrauen ist schwerer zu heilen als ein falscher Satz.

Studien zeigen: 81 Prozent der Deutschen sehen Desinformation als Bedrohung für die Demokratie. Besonders beunruhigend: 28 Prozent der 18- bis 29-Jährigen glauben noch immer, dass Medien „Lügenpresse“ seien. Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis jahrelanger gezielter Kampagnen, die das Vertrauen in wissenschaftliche und journalistische Quellen absichtlich beschädigt haben.

Die größten Mythen in der Wissenschaft - und was wirklich stimmt

Einige Mythen halten sich seit Jahren, obwohl sie längst widerlegt sind. Hier drei der häufigsten:

  • Mythos: „Der Klimawandel ist eine Lüge.“ Tatsache: Über 99 Prozent der klimawissenschaftlichen Publikationen bestätigen den menschengemachten Klimawandel. Die 49 Prozent der Deutschen, die sich an Fake-Posts erinnern, die das bestreiten, wurden systematisch mit irreführenden Bildern und selektiven Daten konfrontiert - etwa mit kalten Wintern, die als „Beweis“ gegen den Klimawandel missbraucht wurden.
  • Mythos: „Impfstoffe verändern Ihre DNA.“ Tatsache: mRNA-Impfstoffe (wie bei COVID-19) geben nur Anweisungen für eine einzige Proteinproduktion. Sie dringen nicht in den Zellkern ein, wo die DNA liegt. Diese Aussage wurde 2020 von Correctiv und anderen Faktencheckern detailliert entkräftet - doch die Falschmeldung verbreitete sich schneller als die Widerlegung.
  • Mythos: „Wissenschaftler sind nur auf Geld aus.“ Tatsache: Die meisten Forscher:innen arbeiten an Universitäten oder öffentlichen Instituten, die auf öffentliche Mittel angewiesen sind. Ihre Karriere hängt nicht von der Popularität ihrer Ergebnisse ab, sondern von Reproduzierbarkeit, Peer-Review und langfristiger wissenschaftlicher Integrität.

Die Gemeinsamkeit dieser Mythen? Sie nutzen die Komplexität der Wissenschaft gegen sie. Sie vereinfachen zu viel, ignorieren Kontext und greifen auf emotionale Trigger zurück: Angst, Ungerechtigkeit, Kontrollverlust.

Deepfakes: Wenn die Wahrheit gefälscht wird - und wie man sie erkennt

Seit 2021 haben Deepfakes - künstlich erzeugte, täuschend echte Videos und Audios - weltweit um 300 Prozent zugenommen. In Deutschland wurden sie besonders im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine eingesetzt: Fake-Videos von angeblichen „Ukraine-Angriffen“ oder „deutschen Soldaten“ wurden verbreitet, um Panik zu schüren.

Wie erkennt man sie?

  1. Prüfen Sie die Quelle. Kommt das Video von einer etablierten Zeitung wie der Tagesschau oder von einem unbekannten YouTube-Kanal mit 200 Abonnenten?
  2. Suchen Sie das Original. Nutzen Sie Google Reverse Image Search oder die App Faktenfinder. Oft finden Sie das Originalvideo - und sehen, dass es aus einem anderen Kontext stammt.
  3. Beobachten Sie die Details. Deepfakes haben oft unnatürliche Gesichtsbewegungen, seltsame Lichtreflexe oder unscharfe Haare. Die Lippenbewegungen passen nicht perfekt zum Ton.
  4. Vertrauen Sie nicht nur dem Gefühl. Wenn etwas zu dramatisch, zu einfach oder zu passend zu Ihren Ängsten wirkt - fragen Sie: Wer profitiert davon, wenn ich das glaube?

Die Bundesregierung plant bis 2025 eine nationale Informationsstelle für Deepfakes - mit 8 Millionen Euro Budget. Doch bis dahin liegt die Verantwortung bei uns: Wer etwas teilt, trägt Verantwortung für die Wirkung.

Ein Turm aus Wissenschafts-Büchern bricht zusammen, während eine Person mit einer Lupe Fakten entdeckt.

Warum Fakten allein nicht reichen - und was wirklich hilft

Ein großer Irrtum: Wenn man nur die Fakten präsentiert, wird die Falschinformation verschwinden. Das ist falsch.

Studien der LMU München zeigen: 78 Prozent der Menschen, die einmal einer Falschinformation geglaubt haben, weigern sich, sie auch nach Widerlegung aufzugeben. Warum? Weil Falschinformationen oft mit Identität, Zugehörigkeit und Angst verbunden sind. Wer eine Impfgegner-Gruppe auf Facebook unterstützt, fühlt sich nicht nur „aufgeklärt“ - er fühlt sich Teil einer Gemeinschaft, die „die Wahrheit kennt“.

Was hilft also?

  • Empathie statt Konfrontation. Sagen Sie nicht: „Das ist doch gelogen.“ Sagen Sie: „Ich verstehe, warum das beängstigend wirkt. Ich habe das auch geglaubt - bis ich die Quellen geprüft habe.“
  • Vertrauenswürdige Vermittler. Menschen glauben eher einem Arzt, einer Lehrerin oder einem Nachbarn als einer Behörde. Nutzen Sie lokale Netzwerke.
  • Medienkompetenz in der Schule. Das Projekt „faktenstark“ in Sachsen hat gezeigt: Mit nur 10 Unterrichtsstunden steigt die Fähigkeit, Desinformation zu erkennen, um 45 Prozent. 45.000 Schüler:innen wurden bereits geschult - ein Modell, das bundesweit braucht.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sagt es klar: Medienkompetenz ist keine Zusatzqualifikation - sie ist eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe an der Demokratie.

Was tut Deutschland - und was fehlt?

Deutschland ist im europäischen Vergleich führend in der Wahrnehmung von Desinformation: 81 Prozent der Bürger:innen sehen sie als großes Problem - der EU-Durchschnitt liegt bei 67 Prozent. Und wir haben starke Instrumente:

  • Digitale Services Act (DSA): Seit November 2023 müssen Plattformen wie Facebook und Twitter Faktenchecks und Vertrauensbewertungen einbinden. Das könnte die Desinformation um bis zu 20 Prozent reduzieren.
  • Faktencheck-Anbieter: Correctiv, Mimikama und die Tagesschau-Faktenfinder-App sind zuverlässig und beliebt - mit durchschnittlich 4,2 von 5 Sternen in Nutzerbewertungen.
  • Forschungsförderung: Seit 2020 hat das BMBF 42 Millionen Euro in Projekte gegen Desinformation investiert - die Hälfte davon für technische Lösungen, die andere Hälfte für Bildung.

Doch es gibt Lücken. Die Verantwortung ist fragmentiert: Bund, Länder, Kommunen arbeiten oft getrennt. Schweden und Finnland haben zentrale Informationsstellen, die allen Bürger:innen leicht zugänglich sind. In Deutschland gibt es das nicht.

Und: Die meisten Faktencheck-Angebote nutzen nur 37 Prozent der Deutschen. Bei Hochschulabsolventen sind es 58 Prozent - bei Menschen ohne Schulabschluss nur 22 Prozent. Hier fehlt der Zugang. Nicht das Wissen.

Menschen in einer Gemeinschaftsveranstaltung lernen, Desinformation zu erkennen und zu bekämpfen.

Was Sie jetzt tun können - konkrete Schritte

Sie brauchen keine Ausbildung in Informatik oder Politikwissenschaft, um Desinformation zu bekämpfen. Hier sind fünf einfache, aber wirksame Schritte:

  1. Prüfen Sie, bevor Sie teilen. Fragen Sie sich: „Habe ich das aus einer vertrauenswürdigen Quelle?“ Nutzen Sie Faktenfinder.de, Correctiv oder Mimikama - kostenlos und einfach.
  2. Verwenden Sie die „5-Minuten-Regel“. Wenn etwas schockierend, emotional oder zu perfekt wirkt - warten Sie fünf Minuten. Suchen Sie online nach der Aussage + „Faktencheck“. Oft finden Sie sofort eine Widerlegung.
  3. Reden Sie mit Menschen, die anders denken. Nicht um sie zu überzeugen - sondern um zu verstehen, warum sie etwas glauben. Hören Sie zu. Fragen Sie: „Wo hast du das gesehen?“
  4. Unterstützen Sie Faktenchecker. Teilen Sie ihre Arbeit. Abonnieren Sie Correctiv oder Mimikama. Jeder Like, jeder Kommentar stärkt sie gegen die Flut an Falschmeldungen.
  5. Fordern Sie Bildung ein. Sprechen Sie mit Ihrer Schule, Ihrem Verein, Ihrer Gemeinde: „Warum gibt es keine Medienkompetenz im Lehrplan?“

Es geht nicht darum, alle Falschmeldungen zu löschen. Das ist unmöglich. Es geht darum, unsere Fähigkeit zu stärken, zwischen Wahrheit und Manipulation zu unterscheiden - und uns nicht von Angst leiten zu lassen.

Die Zukunft: KI wird es noch schwieriger machen - aber wir können uns wehren

Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert: Bis 2025 wird die Verbreitung von KI-generierter Desinformation um weitere 50 Prozent steigen. Gleichzeitig verbessern sich die Erkennungstools - und werden in Zukunft schon vor dem Teilen warnen.

Das ist kein Grund zur Resignation. Es ist ein Grund zur Aktion. Denn die größte Waffe gegen Desinformation ist nicht Technik - es ist Bildung. Es ist kritisches Denken. Es ist der Mut, Fragen zu stellen - und die Bereitschaft, sich irren zu lassen.

Wissenschaft funktioniert nicht, weil sie immer recht hat. Sie funktioniert, weil sie sich korrigieren kann. Und das ist genau das, was wir brauchen: eine Kultur, in der es okay ist, zu sagen: „Ich habe mich geirrt. Hier ist die Wahrheit.“

Was ist der Unterschied zwischen Desinformation und Misinformation?

Desinformation ist bewusst falsche Information, die mit der Absicht verbreitet wird, Menschen zu täuschen oder zu manipulieren. Misinformation hingegen ist falsche Information, die ohne böse Absicht weitergegeben wird - etwa weil jemand etwas falsch verstanden hat. Der entscheidende Unterschied liegt also in der Absicht.

Wie erkenne ich einen Deepfake?

Deepfakes haben oft unnatürliche Gesichtsbewegungen, seltsame Lichtreflexe oder Lippen, die nicht perfekt zum Ton passen. Nutzen Sie Tools wie Google Reverse Image Search, um das Video zu prüfen. Fragen Sie sich: Kommt die Quelle von einer bekannten Medienorganisation? Wenn nicht, zweifeln Sie. Vertrauen Sie nicht nur dem Eindruck - prüfen Sie.

Warum funktionieren Fakten nicht immer gegen Falschinformationen?

Falschinformationen sind oft emotional verankert - sie beruhigen Ängste, bestätigen Vorurteile oder geben ein Gefühl von Zugehörigkeit. Wenn man jemandem nur Fakten vorlegt, fühlt sich die Person oft angegriffen. Besser: Zuhören, Empathie zeigen und dann sanft nachfragen: „Wo hast du das gesehen?“ - und gemeinsam nach der Quelle suchen.

Welche Faktencheck-Portale sind in Deutschland vertrauenswürdig?

Zuverlässige deutsche Faktenchecker sind Correctiv (4,5 Sterne), Mimikama (4,3 Sterne) und die Tagesschau-Faktenfinder-App (4,1 Sterne). Sie arbeiten unabhängig, transparent und veröffentlichen ihre Methoden. Internationale Portale wie Snopes sind hier kaum bekannt - deutsche Anbieter sind besser auf lokale Kontexte eingestellt.

Was kann ich als Elternteil tun, um meine Kinder vor Desinformation zu schützen?

Reden Sie regelmäßig mit Ihren Kindern über das, was sie online sehen. Nutzen Sie einfache Fragen: „Wer hat das geschrieben?“, „Warum könnte das wichtig sein?“, „Wo könnte man das überprüfen?“. Unterstützen Sie Schulen, die Medienkompetenz lehren - wie das Projekt „faktenstark“ in Sachsen. Wissen ist der beste Schutz.