Was, wenn jemand Ihnen sagt, dass der Klimawandel nicht real ist? Oder dass Impfstoffe gefährlich sind? Oder dass Wissenschaftler ihre Daten manipulieren? Diese Aussagen sind nicht einfach nur falsch - sie sind Teil eines tieferen Phänomens: Wissenschaftsskepsis. Doch wer glaubt, dass man sie mit mehr Fakten bekämpfen kann, liegt falsch. Die Wissenschaft selbst hat längst erkannt: Es geht nicht um fehlendes Wissen. Es geht um Vertrauen - und um das, was Menschen wirklich glauben.
Wissenschaftsskepsis ist kein Wissensproblem
Viele denken: Wenn Menschen nur mehr über Wissenschaft wüssten, würden sie sie akzeptieren. Doch die Daten sagen etwas anderes. Eine Studie des IHS Wien aus dem Jahr 2023 zeigt: Wer Wissenschaft ablehnt, hat oft genauso viel Bildung wie andere. Es geht nicht um die Anzahl der Schuljahre, sondern um das, was man mit dieser Bildung verbindet. Menschen, die sich unzufrieden mit der Demokratie fühlen, die das Gefühl haben, von der Gesellschaft ignoriert zu werden, oder die politisch rechts orientiert sind, neigen deutlich stärker dazu, wissenschaftliche Ergebnisse zu bezweifeln. Das ist kein Zufall. Es ist ein Ausdruck von Machtlosigkeit - und Wissenschaft wird zur Projektionsfläche für diese Gefühle.Ein Beispiel: Wer an Impfungen zweifelt, tut das oft nicht, weil er die Biologie nicht versteht. Sondern weil er glaubt, dass Pharmaunternehmen und Regierungen ihn manipulieren. Wer den Klimawandel leugnet, tut das nicht, weil er die Physik nicht kennt. Sondern weil er Angst hat, dass Klimaschutz seine Lebensweise bedroht. Die Wissenschaft wird nicht als neutraler Erkenntnisprozess gesehen - sondern als Werkzeug von Gegnern.
Die falsche Annahme: Mehr Wissen = mehr Vertrauen
Jahrelang hat man in der Wissenschaftskommunikation versucht, Skeptiker mit Daten zu überwältigen. Mehr Grafiken, mehr Studien, mehr Experteninterviews. Doch das hat kaum etwas verändert. Im Gegenteil: Je mehr Fakten man lieferte, desto stärker verhärteten sich die Positionen. Warum? Weil Menschen nicht wie Roboter auf Informationen reagieren. Sie reagieren auf Geschichten, auf Emotionen, auf Identität.Die alte Theorie - das sogenannte Defizitmodell - besagte: Wenn du Wissen ergänzt, wird Vertrauen wachsen. Heute wissen wir: Das funktioniert nicht. Eine Studie der HIIG aus dem Jahr 2023 zeigt: 73 Prozent der Wissenschaftler*innen, die Angriffe erlebt haben, sagen, diese seien politisch motiviert. Nur 27 Prozent sehen darin ein Wissensproblem. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn jemand glaubt, dass Wissenschaftler lügen, dann hilft kein Datenblatt. Dann braucht es eine andere Art von Kommunikation.
Was wirklich funktioniert: Dialog statt Vortrag
In Berlin hat die Charité ein Projekt namens „Wissenschaft für alle“ gestartet. Medizinstudierende gehen in Stadtteile wie Neukölln und Wedding. Sie treffen Menschen, die Impfungen ablehnen, die an Corona-Leugnung glauben, die Ängste haben. Und sie reden nicht mit ihnen - sie reden mit ihnen. In drei Workshops à sechs Stunden lernen die Studierenden, zuzuhören, statt zu lehren. Sie fragen: „Was macht Ihnen Sorgen?“, „Warum vertrauen Sie dieser Quelle?“, „Was würden Sie brauchen, um sich sicherer zu fühlen?“Das Ergebnis? Nach dem Projekt stieg das Vertrauen in medizinische Informationen bei den Teilnehmer*innen um 43 Prozent. Nicht weil sie plötzlich alle Biologie verstanden. Sondern weil sie sich gesehen fühlten. Weil jemand ihnen nicht sagte, sie seien dumm. Sondern weil jemand fragte: „Warum denkst du das?“
Diese Methode funktioniert nicht nur in Berlin. In Graz, Wien und Köln gibt es ähnliche Ansätze. Wissenschaftler*innen, die sich nicht als Experten aufstellen, sondern als Menschen, die auch irren können. Die sagen: „Wir haben uns geirrt.“ „Diese Studie wurde später widerlegt.“ „Das wissen wir noch nicht genau.“ Diese Ehrlichkeit - nicht die Perfektion - baut Vertrauen auf.
Wissenschaft ist kein Monolith - und das ist gut so
Ein weiterer Grund für Skepsis: Viele glauben, Wissenschaft sei eine Einheitsfront - immer richtig, immer sicher, immer eindeutig. Doch das ist eine Lüge. Wissenschaft ist ein Prozess. Sie besteht aus Hypothesen, Fehlern, Korrekturen, Debatten. Eine Studie kann ein Ergebnis zeigen - eine andere ein anderes. Das ist kein Zeichen von Schwäche. Das ist das Herzstück der Wissenschaft.Warum wird das nicht gesagt? Weil Wissenschaftler oft Angst haben, als unsicher oder unprofessionell dazustehen. Aber das Gegenteil ist wahr: Wer sagt, „Wir wissen es noch nicht“, zeigt Stärke. Wer sagt, „Das war falsch, und hier ist der neue Stand“, zeigt Integrität. Eine Umfrage von Wissenschaft im Dialog (2022) zeigt: Narrative, die zeigen, wie Wissenschaftler Fehler machen und korrigieren, sind 2,7-mal wirksamer als reine Faktenlisten.
Stellen Sie sich vor, ein Arzt sagt: „Ich habe eine neue Behandlung. Sie hat in einer Studie funktioniert.“ Dann kommt eine Woche später eine andere Studie, die sagt: „Funktioniert nicht.“ Was tun? Der Arzt sagt: „Ja, das stimmt. Die erste Studie war vielversprechend, aber die zweite hat gezeigt, dass es nicht so einfach ist. Deshalb testen wir jetzt eine dritte Variante.“ Wer würde diesem Arzt nicht vertrauen? Genau. Der Mensch, der ehrlich ist, gewinnt - auch in der Wissenschaft.
Soziale Medien: Die Verstärker der Skepsis
Warum breitet sich Wissenschaftsskepsis so schnell aus? Weil Algorithmen sie fördern. In sozialen Medien werden Inhalte nicht nach Wahrheit, sondern nach Aufmerksamkeit sortiert. Ein Video mit dem Titel „Wissenschaftler lügen über Impfstoffe!“ erhält zehnmal mehr Klicks als ein Artikel mit dem Titel „Impfstoffe wirken - hier ist die Studie“. Die Folge: Filterblasen. Menschen sehen nur noch das, was ihre Überzeugungen bestätigt. In deutschen Social-Media-Diskussionen zu Impfen oder Klima sind bis zu 65 Prozent der geteilten Inhalte von Akteuren, die wissenschaftliche Konsensmeinungen ablehnen. Nur 35 Prozent verbreiten echte Forschung.Und wer verbreitet diese Inhalte? Nicht nur Einzelpersonen. Es sind strukturierte Netzwerke: Denkfabriken wie das Heartland Institute, politische Gruppen, aber auch einzelne Journalist*innen, die mit Sensationsmeldungen Klicks generieren. Die Tabakindustrie hat das schon in den 1950er-Jahren perfektioniert: Sie finanzierte Forscher, die behaupteten, Zigaretten seien nicht krebserregend. Sie sammelten einzelne Studien, die Zweifel aufwarfen - und machten daraus eine „Debatte“. Das ist genau das, was heute bei Klimawandel, Impfungen oder Gentechnik passiert.
Was Wissenschaftler*innen brauchen - und was die Gesellschaft tun muss
Die meisten Wissenschaftler*innen sind nicht darauf ausgebildet, mit Kritikern zu sprechen. Eine DZHW-Studie aus dem Jahr 2023 zeigt: 61 Prozent der Forscher*innen fühlen sich nicht ausreichend geschult, um mit skeptischen Menschen umzugehen. Sie haben Physik, Biologie oder Chemie gelernt - aber nicht, wie man mit jemandem spricht, der ihn für einen Lügner hält.Das ist ein Systemfehler. Wissenschaftskommunikation muss Teil der akademischen Ausbildung werden. Nicht als Nebenfach. Als Pflicht. Und es braucht mehr Unterstützung: Zeit, Geld, Mentoren. Wissenschaftler*innen, die auf Twitter persönliche Geschichten erzählen - über ihre Nächte im Labor, ihre Misserfolge, ihre Zweifel - erhalten 3,2-mal mehr positive Rückmeldungen als jene, die nur Fachtexte posten.
Und die Gesellschaft? Sie muss aufhören, Wissenschaft als Heilsbringer oder Feind zu sehen. Sie muss akzeptieren, dass Wissenschaft nicht alles weiß. Dass sie manchmal falsch liegt. Dass sie von Geld, Politik und Interessen beeinflusst ist. Aber sie muss auch verstehen: Trotzdem ist sie der beste Weg, um die Welt zu verstehen. Nicht perfekt. Aber besser als alle anderen Methoden, die wir haben.
Was Sie persönlich tun können
Sie brauchen nicht zu warten, bis die Regierung etwas tut. Sie können heute anfangen:- Wenn jemand eine wissenschaftliche Aussage ablehnt, fragen Sie: „Warum glaubst du das?“ - nicht: „Das ist doch falsch!“
- Teilen Sie keine Nachrichten, die nur Emotionen auslösen. Teilen Sie, was zeigt, wie Wissenschaft funktioniert - auch mit Fehlern.
- Reden Sie mit Menschen, die anders denken. Nicht, um sie zu überzeugen. Sondern, um zu verstehen.
- Unterstützen Sie Wissenschaftler*innen, die offen sprechen - mit Likes, Kommentaren, Weiterleitungen.
- Fragen Sie Journalist*innen: „Woher kommt diese Information?“ - und fordern Sie Quellen an.
Wissenschaftsskepsis lässt sich nicht mit mehr Fakten besiegen. Sie lässt sich nur mit mehr Menschlichkeit überwinden. Mit Respekt. Mit Geduld. Mit der Bereitschaft, zuzuhören - auch wenn es wehtut.
Was bleibt: Wissenschaft ist kein Glaube - sie ist eine Methode
Wissenschaft ist kein Dogma. Sie ist kein Glaubenssystem. Sie ist eine Methode, um Fragen zu stellen, Beweise zu sammeln und sich zu irren - und dann zu korrigieren. Wer das versteht, versteht, warum sie funktioniert. Und warum sie trotz aller Kritik das beste Werkzeug ist, das die Menschheit hat, um die Welt zu verstehen - und zu verbessern.Warum hilft mehr Wissen nicht gegen Wissenschaftsskepsis?
Mehr Wissen hilft nicht, weil Wissenschaftsskepsis kein Wissensdefizit ist, sondern ein Vertrauensproblem. Menschen lehnen wissenschaftliche Ergebnisse oft ab, weil sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, politisch misstrauisch sind oder Angst vor Veränderungen haben. Fakten allein verändern diese tiefen Gefühle nicht - nur Dialog, Empathie und Ehrlichkeit können das.
Welche Gruppen zeigen am meisten Wissenschaftsskepsis?
Studien zeigen, dass Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau, geringer Lebenszufriedenheit und politischer Orientierung am rechten Rand tendenziell skeptischer sind. Auch Frauen zeigen etwas weniger Vertrauen in Wissenschaft als Männer - ein Unterschied, der in den Eurobarometer-Daten von 2021 deutlich sichtbar ist. Wichtig: Skepsis ist nicht gleich verteilt. Klimaskepsis ist oft mit konservativen politischen Ansichten verbunden, Impfskepsis hingegen mit spirituellen Überzeugungen.
Wie wirken soziale Medien auf Wissenschaftsskepsis?
Soziale Medien verstärken Wissenschaftsskepsis durch Algorithmen, die emotionale, polemische Inhalte bevorzugen. In deutschen Diskussionen zu Impfen oder Klima stammen bis zu 65 Prozent der geteilten Inhalte von Akteuren, die wissenschaftliche Konsensmeinungen ablehnen. Das führt zu Filterblasen: Menschen sehen nur noch, was ihre Ansichten bestätigt - und verlieren den Kontakt zu evidenzbasierten Informationen.
Was ist das „Defizitmodell“ und warum ist es falsch?
Das Defizitmodell geht davon aus, dass Wissenschaftsskepsis durch fehlendes Wissen entsteht - und dass mehr Bildung das Problem löst. Doch seit den 2010er-Jahren zeigen Studien, dass das nicht stimmt. Menschen mit hohem Bildungsgrad lehnen Wissenschaft genauso ab wie Menschen mit niedrigem Bildungsgrad - wenn sie sich politisch oder sozial abgehängt fühlen. Die Lösung liegt nicht in mehr Unterricht, sondern in besserer Kommunikation, die Emotionen und Werte anspricht.
Wie kann man Wissenschaftler*innen besser unterstützen?
Wissenschaftler*innen brauchen Ausbildung in Kommunikation, Zeit für Öffentlichkeitsarbeit und institutionelle Unterstützung. Nur 39 Prozent der Forscher*innen fühlen sich gut vorbereitet, mit Kritikern zu sprechen. Schulungen, Mentoring und finanzielle Mittel für Dialogprojekte sind entscheidend. Wer Wissenschaftler*innen nur als Experten sieht - nicht als Menschen - macht es ihnen schwer, Vertrauen aufzubauen.
Gibt es erfolgreiche Beispiele für Wissenschaftskommunikation?
Ja. Das Projekt „Wissenschaft für alle“ der Berliner Charité hat in einer randomisierten Studie gezeigt, dass Medizinstudierende, die mit skeptischen Bürger*innen in Stadtteilen wie Neukölln dialogisch arbeiten, das Vertrauen in medizinische Informationen um 28-43 Prozent steigern können. Auch Wissenschaftler*innen, die persönliche Geschichten auf Twitter erzählen, erhalten 3,2-mal mehr positive Rückmeldungen als solche, die nur Fakten posten.
4 Kommentare
Stefan Sobeck
Also ich find's krass, wie viele Leute immer noch denken, man kann mit mehr Fakten jemanden überzeugen. Als ob wir nicht alle wissen, dass Leute nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen entscheiden. Ich hab mal mit meinem Opa geredet, der glaubt, Impfungen sind ein globaler Plan - hab ihm einfach zugehört, kein Wort gegen. Nach 2 Stunden hat er gesagt: "Aber du bist ja auch kein Dummkopf...". Das war der Anfang.
Francine Ott
Es ist bemerkenswert, wie tiefgreifend das Vertrauensdefizit in wissenschaftliche Institutionen ist – und wie wenig Aufmerksamkeit man der emotionalen Dimension dieser Skepsis schenkt. Die von Ihnen beschriebene Methode der dialogischen Annäherung entspricht den Erkenntnissen der kommunikativen Psychologie und der sozialen Identitätstheorie. Es ist nicht die Information, die fehlt, sondern das Gefühl der Würdigung. Eine systematische Integration solcher Ansätze in die akademische Ausbildung wäre unerlässlich.
Arno Raath
Ach ja, wieder die übliche Wissenschafts-Hagiografie. "Menschlichkeit, Empathie, Dialog" – klingt wie ein TED-Talk, der von einem Marketing-Team verfasst wurde. Wissenschaft ist kein Selbsthilfebuch. Wenn jemand glaubt, die Erde sei flach, dann hilft kein "Warum denkst du das?" – sondern ein bisschen Wissen, das er nicht hat. Und nein, ich will nicht hören, dass er sich "ausgeschlossen fühlt". Er ist einfach falsch.
Maximilian Erdmann
ich bin echt müde von allen diesen "wissenschaft ist kein dogma"-posts 🙄 ich meine, klar, wissenschaftler sind menschen, aber das heißt nicht, dass jede kritik legitim ist. wenn jemand sagt "impfungen sind gift" und dann 3 youtube-videos als quellen nennt, dann hilft kein dialog. dann hilft ein bisschen grundschulbiologie. und nein, ich will nicht hören, dass er sich "nicht gesehen fühlt". er fühlt sich nicht gesehen, weil er sich weigert, die grundlagen zu lernen. 💩