E-Sport an Schulen: Chancen, Risiken und klare Regeln für den Unterricht

E-Sport an Schulen: Mehr als nur Gaming

Stell dir vor, deine Schule bietet eine AG an, bei der du nicht auf dem Fußballfeld rennst, sondern im Team gegen andere Schüler:innen in E-Sport antreten kannst. In Deutschland nehmen bereits über 300 Schulen an einer bundesweiten Schulmeisterschaft teil. Doch ist das nur ein Trend oder hat E-Sport wirklich einen Platz im Unterricht? Die Antwort ist komplex. E-Sport an Schulen ist kein simples Computerspielen - er verändert, wie Schüler:innen zusammenarbeiten, wie sie denken und wie sie mit Technik umgehen. Aber er bringt auch Risiken mit sich, die man nicht ignorieren darf.

Was genau ist schulischer E-Sport?

Schulischer E-Sport ist kein freies Spielen nach der Schule. Es ist ein strukturiertes Angebot, das in der AG-Zeit oder im Rahmen von Projekten stattfindet. Die Initiative ESportZ, gegründet 2020, hat klare Regeln aufgestellt: Nur Spiele, die Teamarbeit, Strategie oder Sport-Simulationen fördern, dürfen verwendet werden. Das sind zum Beispiel League of Legends (Teamstrategie), FIFA (Sport-Simulation) oder Rocket League (koordinierte Bewegung). Shooter-Spiele wie Call of Duty sind ausgeschlossen. Die Spiele müssen die Altersfreigabe der USK haben - also maximal ab 12 Jahren. Jedes Team muss mindestens eine Lehrkraft enthalten, und die Spiele laufen auf offiziellen Versionen mit deutscher Sprachausgabe.

Die Hardware ist kein Nebenschauplatz. Ein PC für FIFA 23 braucht mindestens einen Intel Core i5-6600, 8 GB RAM und eine Grafikkarte wie die GTX 1050 Ti. Doch viele Schulen haben nicht genug leistungsfähige Rechner - laut BITKOM fehlen sie in 42 Prozent der Schulen. Das ist eine der größten Hürden.

Chancen: Digitale Kompetenz und Inklusion

Was viele nicht sehen: E-Sport kann Schüler:innen helfen, die sonst kaum an schulischen Aktivitäten teilnehmen. In Berlin berichtete die Schule am Walde, dass sich die Teilnahme von Jungen mit Migrationshintergrund um 42 Prozent erhöhte, nachdem eine E-Sport-AG gestartet wurde. Warum? Weil es eine gemeinsame Sprache schafft - unabhängig von Sprachkenntnissen oder körperlichen Fähigkeiten.

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) betont das Potenzial für Inklusion. Mit adaptiven Controllern, wie dem Xbox Adaptive Controller, können Schüler:innen mit körperlichen Einschränkungen vollständig teilnehmen. Das ist in vielen traditionellen Sportarten nicht möglich.

Und dann ist da noch die digitale Kompetenz. Eine Umfrage von ESportZ unter 1.200 Lehrkräften ergab: 78 Prozent sagen, dass ihre Schüler:innen nach der Teilnahme an einer E-Sport-AG besser verstehen, wie Software funktioniert, wie Netzwerke arbeiten und wie man technische Probleme löst. Das ist kein Zufall. Spieler:innen lernen, Ressourcen zu verwalten, Zeitpläne zu erstellen und Kommunikation in Echtzeit zu steuern - Fähigkeiten, die in fast jedem Beruf gefragt sind.

Diverse Schüler:innen, einschließlich eines Schülers mit adaptivem Controller, diskutieren Teamstrategien in der Klasse.

Risiken: Sucht, Haltung und Schlaf

Doch E-Sport ist kein Allheilmittel. Die Deutsche Sporthochschule Köln hat in ihrer Studie von 2023 bei 14- bis 18-Jährigen eine Prävalenz von exzessivem Spielverhalten von 12,3 Prozent festgestellt - fast doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. Das bedeutet: Ein von acht Schülern, die in der AG sind, läuft Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.

Ein Schüler aus Rüsselsheim berichtet: „Nach drei Monaten musste ich eine Pause machen. Ich habe nachts nicht mehr geschlafen und war morgens im Unterricht weg.“ Das ist kein Einzelfall. 22 Prozent der Teilnehmer:innen gaben an, dass unreguliertes Training zu Schulschwänzen und verschobenem Schlaf führte.

Auch körperlich gibt es Probleme. 63 Prozent der Jugendlichen in der Studie hatten bereits Nacken- und Schulterbeschwerden, weil sie stundenlang in falscher Haltung saßen. Die Lösung? Klare Regeln: Maximal 90 Minuten pro Session, mit 15 Minuten Pause danach. Der Bildschirm muss auf Augenhöhe stehen, der Raum muss mit mindestens 500 Lux ausgeleuchtet sein. Das ist kein Luxus - das ist medizinische Notwendigkeit.

Regeln: Was darf, was nicht?

Es gibt keine einheitliche Regelung in Deutschland. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) erkennt E-Sport nicht als Sport an - weil es keine körperliche Betätigung gibt. Aber das ist widersprüchlich: Billard und Sportschießen werden als Sport anerkannt, obwohl sie kaum körperlich anstrengend sind.

Die ESportZ-Schulmeisterschaft hat klare Regeln:

  • Teilnahme ab 14 Jahren
  • Mindestens eine Lehrkraft pro Team
  • Nur Spiele mit USK 12 oder niedriger
  • Keine Shooter-Spiele
  • Maximal 120 Minuten Training pro Schultag
  • Verpflichtende Pausen alle 90 Minuten
  • Deutsche Sprachausgabe

Diese Regeln sind nicht willkürlich. Sie basieren auf der eSport-Studie 2023 der Deutschen Sporthochschule Köln und auf Empfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Wer diese Regeln ignoriert, läuft Gefahr, aus einem pädagogischen Angebot eine Suchtquelle zu machen.

Die Rolle der Lehrkräfte

Lehrkräfte sind nicht nur Aufsichtspersonen - sie sind Moderatoren. Viele haben keine Ahnung von E-Sport. Laut ESportZ brauchen sie durchschnittlich 12 Stunden, um die Spiele zu verstehen und sie im Unterricht einzusetzen. Die Initiative bietet kostenlose 4-Stunden-Workshops an, um Lehrkräfte vorzubereiten.

Ein Lehrer aus Frankfurt berichtete: „Ich dachte, es geht nur darum, wer besser spielt. Dann sah ich, wie meine Schüler:innen sich vor dem Spiel absprachen, wer welche Rolle übernimmt, wie sie Fehler analysieren und wie sie sich nach einer Niederlage unterstützen.“ Das ist Teamarbeit - und das ist Lernen.

Eltern sind oft skeptisch. 67 Prozent der Lehrkräfte berichten von Bedenken wegen Sucht. Der beste Weg dagegen: Elternabende mit Expert:innen der BZgA. Zeigen, wie Regeln funktionieren. Zeigen, wie viel Kontrolle möglich ist. Und zeigen, dass es nicht um das Spiel selbst geht - sondern um die Fähigkeiten, die es fördert.

Kontrast: Ein Schüler im Dunkeln mit Schlafmangel links, rechts derselbe Schüler gesund und unterstützt im Klassenzimmer.

Wie fängt man an?

Wenn eine Schule E-Sport einführen will, gibt es drei Schritte:

  1. Sensibilisierungsworkshop für Lehrkräfte (kostenlos, 4 Stunden)
  2. Starterkit mit Unterrichtsmaterialien (200 Seiten, aktualisiert 2022)
  3. Anmeldung zur Schulmeisterschaft (Deadline: 15. Januar jedes Jahres)

Es gibt auch Unterstützung von außen. Der E-Sport-Club Frankfurt sponsert Schulen mit Hardware. Der ESBD plant ab September 2023 ein „Schulpartnerschaftsprogramm“, das 200 Schulen mit zertifizierten Trainern und Geräten versorgen will.

Was sagt die Forschung?

Die Ergebnisse sind gemischt - aber vielversprechend, wenn es klare Regeln gibt. 68 Prozent der Teilnehmer:innen sagten, sie hätten ihr Zeitmanagement verbessert. 57 Prozent zeigten eine höhere psychische Widerstandsfähigkeit - also mehr Resilienz - als Nicht-Gamer:innen. Das ist ein klarer Vorteil in einer Welt, in der Stress und Druck zunehmen.

Prof. Dr. Christopher Grieben von der FHAM sagt: „E-Sport fördert strategisches Denken, Teamfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit - Fähigkeiten, die direkt auf berufliche Anforderungen im digitalen Zeitalter übertragbar sind.“

Aber Dr. Thore Haag, Orthopäde und Mitglied des Wissenschaftsbeirats, warnt: „Bei 63 Prozent der Jugendlichen zeigen sich bereits Nacken- und Schulterbeschwerden.“

Beide haben recht. Es kommt nicht auf das Spiel an - sondern auf die Art, wie es eingesetzt wird.

Ein Fazit: Nicht verbieten - begleiten

E-Sport an Schulen ist kein Ersatz für Fußball oder Turnen. Aber er ist ein neues Werkzeug - und wie jedes Werkzeug kann es schaden oder helfen. Wer ihn verbietet, verliert eine Chance, Schüler:innen dort abzuholen, wo sie sind - in der digitalen Welt. Wer ihn unreguliert einführt, riskiert Gesundheitsschäden und Sucht.

Die Lösung liegt in der Mitte: klare Regeln, strukturierte Abläufe, gesundheitsgerechte Rahmenbedingungen und eine Lehrkraft, die versteht, was da passiert. In Frankreich gibt es bereits 120 Schulen mit offiziellem E-Sport-Programm. In Deutschland könnte es genauso funktionieren - wenn man aufhört, E-Sport als Spiel zu sehen, und anfängt, ihn als Lernraum zu begreifen.

Darf man Shooter-Spiele wie Call of Duty in der Schule spielen?

Nein. In der Schulmeisterschaft von ESportZ sind Shooter-Spiele ab 18 Jahren explizit verboten. Die USK-Altersfreigabe ist verpflichtend - nur Spiele mit USK 12 oder niedriger dürfen verwendet werden. Das ist kein Zufall: Shooter-Spiele fördern keine Teamstrategie, sondern oft Aggression und isoliertes Spielverhalten. Schulischer E-Sport soll Kooperation und Kommunikation stärken - nicht Konflikte.

Wie viel Zeit darf eine E-Sport-AG pro Tag haben?

Maximal 120 Minuten pro Schultag, laut Leitfaden des ESBD von Februar 2023. Innerhalb dieser Zeit muss es mindestens eine 15-minütige Pause geben, wenn die Session länger als 90 Minuten dauert. Die Deutsche Sporthochschule Köln empfiehlt, nicht länger als 90 Minuten am Stück zu spielen, um Rücken- und Augenbelastung zu vermeiden. Diese Grenzen sind medizinisch fundiert - nicht beliebig.

Kann man mit E-Sport auch die Note verbessern?

Nicht direkt - aber indirekt sehr wohl. Schüler:innen, die an einer strukturierten E-Sport-AG teilnehmen, zeigen oft bessere Konzentration, verbessertes Zeitmanagement und stärkere Teamfähigkeit. Das wirkt sich auf alle Fächer aus. Einige Schulen haben sogar Projektarbeiten eingeführt, in denen Schüler:innen die Strategie von League of Legends analysieren - und dabei lernen, komplexe Systeme zu verstehen. Das ist Lernen - und das kann die Leistung in Mathematik, Informatik oder Sozialkunde positiv beeinflussen.

Warum akzeptiert der DOSB E-Sport nicht als Sport?

Der DOSB argumentiert, dass E-Sport keine körperliche Betätigung erfordert - und daher kein Sport sei. Aber das ist ein Widerspruch: Billard, Sportschießen oder sogar Schach werden als Sport anerkannt, obwohl sie kaum körperlich anstrengend sind. Die Kritik ist also nicht medizinisch, sondern institutionell. Der ESBD und Wissenschaftler wie Prof. Dr. Franziska Lautenbach von der Humboldt-Universität argumentieren dagegen: Die kognitive und emotionale Belastung bei professionellem E-Sport ist mit der in traditionellen Sportarten vergleichbar - und das sollte zählen.

Ist E-Sport an Schulen auch für Mädchen geeignet?

Ja - und das ist ein großer Vorteil. Aktuell liegt der Anteil weiblicher Teilnehmer:innen bei 23 Prozent - das ist mehr als in vielen traditionellen Sport-AGs. Besonders Spiele wie FIFA oder Rocket League ziehen Mädchen an, weil sie kooperative, nicht gewaltorientierte Formen des Spielens ermöglichen. In Frankreich und den Niederlanden ist der Anteil an Mädchen sogar höher. Mit gezielter Ansprache und gemischten Teams kann dieser Wert weiter steigen - und das macht E-Sport zu einem wichtigen Instrument für Geschlechtergerechtigkeit in der Schule.

Was ist mit Eltern, die E-Sport ablehnen?

Viele Eltern fürchten Sucht und Verlust der Kontrolle. Die beste Antwort ist Transparenz: Ein Elternabend mit einem Experten der BZgA, der zeigt, wie die Regeln funktionieren - mit Zeitlimits, Pausen, Altersfreigaben und Lehrer-Aufsicht. Zeigen, dass es nicht um das Spiel geht, sondern um Lernen. Und zeigen, dass manche Schüler:innen sonst gar nicht an Schulveranstaltungen teilnehmen würden. Viele Eltern ändern ihre Meinung, wenn sie sehen, wie strukturiert und pädagogisch der Ansatz ist.