Tenure-Track-Modelle in Österreich: Karrierewege und Kriterien für Wissenschaftler:innen

Stell dir vor, du hast dein Doktorat abgeschlossen, hast mehrere Artikel veröffentlicht, erfolgreich Vorlesungen gehalten und bist bereit für den nächsten Schritt. Aber statt dir eine unbefristete Stelle anzubieten, sagt deine Universität: Tenure-Track - sechs Jahre Zeit, alles zu beweisen. Wenn du es schaffst, bekommst du eine Lebenszeitprofessur. Wenn nicht, gehst du wieder. Kein Sicherheitsnetz. Keine Garantie. Nur Leistung.

Diese Realität gibt es seit 2015 in Österreich. Mit der Universitätsorganisationsnovelle wurde das Tenure-Track-System offiziell eingeführt - ein neuer Weg zur Professur, der klarer, transparenter und fairer sein sollte als das alte System, wo man jahrelang als Assistent:in gearbeitet hat, ohne zu wissen, ob man jemals eine feste Stelle bekommt. Doch was genau ist Tenure-Track in Österreich? Wie funktioniert es wirklich? Und was muss man tun, um es zu schaffen?

Was ist Tenure-Track - und warum gibt es das in Österreich?

Das Tenure-Track-Modell kommt ursprünglich aus den USA, wo Wissenschaftler:innen nach sechs bis sieben Jahren befristeter Beschäftigung entweder eine unbefristete Professur bekommen - oder gehen. Österreich hat dieses Modell übernommen, aber nicht einfach kopiert. Es wurde angepasst. Der Grund? Das alte System war undurchsichtig. Viele Talente sind abgewandert, weil sie nicht wussten, ob sie jemals eine Zukunft an der Uni haben würden. Tenure-Track sollte das ändern: klare Ziele, feste Fristen, messbare Kriterien.

Bevor 2015 kam, gab es zwar schon sogenannte Qualifizierungsvereinbarungen im Kollektivvertrag - aber die waren freiwillig, nicht verpflichtend. Heute ist Tenure-Track ein offizieller Karriereweg, der neben den traditionellen Wegen existiert. Du kannst also weiterhin als Postdoc arbeiten und dich über eine Habilitation bewerben - aber Tenure-Track ist jetzt die moderne, strukturierte Alternative.

Die drei Grundmodelle - und die zwei österreichischen Sonderformen

Nicht alle Tenure-Track-Wege sind gleich. Die LERU-Studie (League of European Research Universities) unterscheidet drei Grundtypen:

  • Modell 1: Aufstieg zur assoziierten Professur - aber dann ist Schluss. Keine weitere Beförderung möglich.
  • Modell 2: Assoziierte Professur als Zwischenstufe - danach geht es weiter zur vollen Professur.
  • Modell 3: Direkter Weg von der ersten Anstellung zur vollen Professur, mit Zwischenevaluierungen.

Aber Österreich hat zwei eigene Sondermodelle entwickelt - und die sind im europäischen Vergleich einzigartig. Wie genau sie aussehen, wird nicht öffentlich detailliert beschrieben. Das ist ein Problem. Denn wenn du dich bewirbst, weißt du oft nicht, welches Modell du gerade antrittst. Die Uni sagt: „Wir haben einen Tenure-Track“. Aber welcher? Wie lange läuft er? Was passiert danach? Diese Unsicherheit ist eine der größten Kritiken an der Umsetzung.

Wie lange dauert es? Sechs Jahre - aber nicht überall gleich

Die Standardlaufzeit für Tenure-Track in Österreich ist sechs Jahre. Das entspricht dem europäischen Standard. In Deutschland ist es auch sechs Jahre - aber in Österreich war es früher oft nur vier, vor der Novelle 2015. Heute ist sechs die Regel. Aber: Die Zwischenevaluierungen variieren stark.

An der Universität Wien läuft es oft so: Nach zwei Jahren gibt es eine erste Prüfung. Nach vier Jahren die zweite. Und nach sechs Jahren die finale Entscheidung. An anderen Universitäten gibt es nur eine Evaluation nach fünf Jahren. Manche haben sogar eine dritte Zwischenprüfung. Das macht es für Bewerber:innen schwer, sich zu orientieren. Du musst dich nicht nur auf deine Forschung konzentrieren - sondern auch auf die Regeln deiner Uni.

Drei Karrierewege zur Professur in Österreich: Habilitation, Tenure-Track und direkte Berufung.

Was zählt? Die vier Kriterien für die Tenure-Entscheidung

Es reicht nicht, nur gute Papers zu schreiben. Tenure-Track in Österreich prüft vier Säulen:

  1. Wissenschaftliche Leistung: Publikationen in renommierten Journals, Zitierhäufigkeit, Drittmittel, Konferenzvorträge. Die Erwartungen variieren je nach Fach: In der Medizin zählt eine einzige Publikation in The Lancet mehr als zehn in kleineren Journals. In den Geisteswissenschaften zählt oft die Qualität über die Quantität - ein Buch mit hohem Impact zählt mehr als fünf Artikel.
  2. Lehrkompetenz: Du musst Vorlesungen halten, Seminare leiten, Student:innen betreuen. Es geht nicht nur darum, zu erklären - sondern zu inspirieren. Evaluationen durch Studierende, Peer-Reviews von Kolleg:innen, Entwicklung neuer Lehrkonzepte - all das zählt.
  3. Akademische Selbstverwaltung: Bist du in Gremien aktiv? Hilfst du bei der Entwicklung von Studienplänen? Nimmst du an Auswahlkommissionen teil? Das ist kein Bonus - es ist Pflicht. Wer nur forscht und lehrt, aber sich nicht einbringt, hat es schwer.
  4. Führungskompetenz: Leitest du eine Forschungsgruppe? Betreust du Doktorand:innen? Hast du Projekte koordiniert? Wer später Professor:in werden will, muss auch organisieren können.

Das ist kein „schön-haben“, das ist „müssen“. Und es ist kein Geheimnis - aber oft wird es nicht klar genug kommuniziert. Viele Bewerber:innen scheitern nicht an der Forschung, sondern weil sie nicht wussten, dass ihre Seminar-Evaluationen zu schlecht waren oder sie zu wenig in Gremien mitgewirkt haben.

Die Kritik: Zu viele Regeln - zu wenig Transparenz

Experten wie Barlösius und Weißenborn (2022) kritisieren: Die Kriterien sind zu unklar. Jede Uni definiert sie anders. In Innsbruck zählt ein Buch mehr. In Graz zählt eine Drittmittelprojekt-Vertragslaufzeit. In Salzburg wird die Lehre stärker gewichtet als in Wien. Das ist nicht fair. Wer sich für Tenure-Track entscheidet, braucht klare Spielregeln - nicht ein Rätsel.

Auch die Mobilität wird als Problem gesehen. Tenure-Track soll internationale Erfahrung fördern - aber viele Wissenschaftler:innen können sich eine zweijährige Auslandsphase nicht leisten, besonders wenn sie Kinder haben. Es gibt zwar keine gesetzlichen Regelungen für Elternzeit wie in Deutschland - aber manche Unis bieten freiwillig Verlängerungen an. Du musst danach fragen. Niemand sagt es dir von allein.

Labyrinth mit sechs Prüfstationen für Tenure-Track, eine Person sucht den Weg mit Dokumentation als Lichtquelle.

Wie du den Weg schaffst - fünf konkrete Tipps

Wenn du Tenure-Track in Österreich anstrebst, hier sind fünf Dinge, die du jetzt tun kannst:

  1. Frage nach dem Modell: Bevor du unterschreibst: „Welches Tenure-Track-Modell ist das?“ „Wie viele Evaluierungen gibt es?“ „Was passiert, wenn ich nicht bestanden habe?“ Schreibe dir die Antworten auf.
  2. Erstelle einen Karriereplan: Welche Publikationen brauchst du? Welche Konferenzen? Welche Drittmittel? Setze dir jährliche Ziele. Mach sie sichtbar. Zeige sie deinem Mentor:in.
  3. Baue ein Netzwerk auf: Rede mit Kolleg:innen, die es geschafft haben. Frag nach ihren Erfahrungen. Wer hat dich unterstützt? Wer hat dich zurückgehalten?
  4. Sei sichtbar in der Uni: Melde dich in Gremien an. Biete an, eine Lehrveranstaltung zu übernehmen. Nimm an Qualifizierungsprogrammen teil. Wer nur im Labor sitzt, wird übersehen.
  5. Dokumentiere alles: Speichere Evaluationen, Zertifikate, Projektdokumente. Wenn du dich nach sechs Jahren bewirbst, musst du alles nachweisen. Keine „Ich hab’s doch gemacht“-Antworten.

Was passiert, wenn du es nicht schaffst?

Die Angst vor dem Scheitern ist groß. Und sie ist berechtigt. Wer nicht bestanden hat, verliert die Stelle. Aber das Ende der Karriere ist es nicht. Viele Tenure-Track-Absolvent:innen, die nicht zur Professur gekommen sind, wechseln in die Wirtschaft, in Forschungsinstitute, in die Bildungsadministration oder ins Ausland. Einige gründen sogar eigene Unternehmen. Tenure-Track ist kein Einbahnstraßenmodell - es ist ein Filter. Und manchmal ist es besser, draußen zu sein als drinnen, aber unglücklich.

Die Zukunft: Wird Tenure-Track die Norm?

In Österreich ist Tenure-Track noch keine Mehrheit - aber er wächst. An einigen Unis sind mittlerweile mehr als 30 % der neu eingestellten Wissenschaftler:innen im Tenure-Track. In anderen kaum 5 %. Die Entwicklung ist ungleich. Aber klar ist: Das alte System mit der Habilitation als einziger Tür zur Professur stirbt. Es ist nicht mehr zeitgemäß. Zu viele Talente verlieren den Mut. Zu viele gehen ins Ausland.

Die Zukunft gehört den klaren, fairen, transparenten Wegen. Tenure-Track ist kein Perfektionsmodell - aber es ist der beste Weg, den Österreich bisher hat. Wenn es weiterentwickelt wird - mit einheitlichen Kriterien, besseren Unterstützungssystemen und echter Familienfreundlichkeit - dann kann es die akademische Karriere in Österreich wirklich verändern.

Du bist nicht allein. Viele vor dir haben es geschafft. Viele sind gescheitert. Aber alle haben gelernt: Es geht nicht nur um Forschung. Es geht um Strategie. Um Kommunikation. Um Durchhaltevermögen. Und um die Frage: Willst du wirklich hier sein? Und wenn ja - was bist du bereit, dafür zu tun?

Was ist der Unterschied zwischen Tenure-Track und Habilitation in Österreich?

Die Habilitation ist ein traditioneller Weg zur Professur: Du arbeitest als Postdoc, schreibst eine zweite große Schrift (Habilitationsschrift), bewirbst dich dann um eine Professur - oft nach Jahren der Unsicherheit. Tenure-Track ist ein strukturierter, befristeter Karriereweg mit klaren Meilensteinen und einer Entscheidung nach sechs Jahren. Du bekommst keine Habilitation, sondern eine Evaluation. Wenn du bestehst, wirst du direkt zur Professorin oder zum Professor ernannt - ohne weitere Bewerbung.

Kann man Tenure-Track auch im Ausland machen?

Ja, und das wird sogar erwartet. Viele Tenure-Track-Modelle in Österreich verlangen eine Auslandsphase - meist ein bis zwei Jahre - um internationale Erfahrung zu sammeln. Das stärkt deine Forschung, dein Netzwerk und deine Chancen. Einige Unis zahlen dafür sogar Reisekosten oder bieten Förderprogramme an. Frag einfach nach, wenn du dich bewirbst.

Gibt es in Österreich Elternzeitregelungen für Tenure-Track?

Es gibt keine bundesweiten Regelungen wie in Deutschland. Aber viele Universitäten bieten freiwillig eine Verlängerung der Tenure-Track-Phase bei Geburt, Adoption oder Pflege von Kindern an. Du musst das aktiv beantragen und dokumentieren. Es ist kein Recht - aber oft möglich. Sprich früh mit der Personalabteilung.

Welche Fächer haben die meisten Tenure-Track-Stellen?

In den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) und der Medizin gibt es die meisten Tenure-Track-Positionen - weil dort Drittmittel leichter zu beschaffen sind und die Forschung international sichtbar ist. In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist es schwieriger - aber auch dort wächst der Anteil. Besonders an Universitäten mit starkem Forschungsfokus wie Wien, Graz oder Innsbruck.

Wie hoch ist die Erfolgsquote bei Tenure-Track in Österreich?

Offizielle Zahlen gibt es nicht. Aber Schätzungen von Universitäten zeigen: Etwa 50 bis 60 % der Bewerber:innen bestehen die finale Evaluation. Die Quote variiert stark zwischen Disziplinen und Unis. In stark geförderten Bereichen wie Biotechnologie oder KI liegt sie oft über 70 %. In weniger finanzierten Fächern kann sie unter 40 % sinken. Es hängt vom Fach, der Uni und deiner Strategie ab.

11 Kommentare

  1. Kyle Kraemer

    Kyle Kraemer

    Also ich find’s echt krass, dass man sechs Jahre lang unter Dauerstress steht, nur damit jemand entscheidet, ob man ‘wertvoll’ genug ist. Als ob Wissenschaft nur nach Publikationszahlen gemessen werden sollte. Ich glaub, das System frisst Menschen.

  2. Susanne Lübcke

    Susanne Lübcke

    es ist wie bei einem reality-show-wettbewerb, nur dass die kandidaten phd’s haben und nicht mal nen kaffee trinken dürfen, ohne dass es in die evaluierung reinfließt. die uni ist kein wettbewerb, sie sollte ein ort sein, an dem ideen wachsen. nicht wo man sich selbst ausbeutet, damit jemand anderes den titel ‘professor’ kriegt. #vergessenwirwirklichwaswissenschaftist

  3. karla S.G

    karla S.G

    Was für ein Unsinn! In Deutschland hat man früher auch nicht so viel Gerede gemacht. Wer nicht schafft, der geht. Punkt. Österreich macht wieder mal alles zu kompliziert. Wer Kinder hat, sollte sich nicht in die Uni verlieben. Das ist kein Kindergarten, das ist Wissenschaft. Und wer sich nicht an die Regeln hält, hat keine Zukunft. Wir brauchen mehr Leistung, nicht mehr Entschuldigungen.

  4. Stefan Lohr

    Stefan Lohr

    Die Kritik an der mangelnden Transparenz ist berechtigt. Die unterschiedlichen Evaluationskriterien zwischen den Universitäten unterminieren das Prinzip der Chancengleichheit. Es ist nicht akzeptabel, dass ein Wissenschaftler in Graz andere Erwartungen erfüllen muss als ein Kollege in Wien, obwohl beide im selben Fachgebiet tätig sind. Dieser Fragmentierung muss ein Ende gesetzt werden.

  5. Elin Lim

    Elin Lim

    Leistung ist kein Recht. Sie ist eine Wahl. Wer nicht bereit ist, zu geben, sollte nicht erwarten, zu bekommen.

  6. INGEBORG RIEDMAIER

    INGEBORG RIEDMAIER

    Die Implementierung des Tenure-Track-Modells in Österreich stellt einen signifikanten strukturellen Wandel im akademischen Karrieresystem dar, der auf die institutionelle Effizienz und die internationale Wettbewerbsfähigkeit abzielt. Die vierdimensionale Evaluierung - wissenschaftliche Leistung, Lehrkompetenz, akademische Selbstverwaltung und Führungskompetenz - entspricht den internationalen Standards der LERU-Richtlinien und fördert eine holistische Entwicklung der Wissenschaftler:innen. Allerdings bleibt die heterogene Ausgestaltung der Modelle an den einzelnen Hochschulen ein strukturelles Risiko, das durch bundesweite Mindeststandards mitigiert werden müsste.

  7. Koen Punt

    Koen Punt

    Interessant, wie hier alle über Transparenz jammern, als wäre Wissenschaft ein öffentlicher Dienst. Wer sich nicht in einem globalen Kontext bewegt, hat keine Relevanz. Wer keine Drittmittel einwirbt, ist ein Hobbyforscher. Wer keine Lehre innovativ gestaltet, ist ein Überbleibsel aus den 80ern. Und wer sich über die Kriterien beschwert, hat vermutlich nie einen Paper in Nature oder Science veröffentlicht. Die Realität ist brutal. Und das ist gut so.

  8. Harry Hausverstand

    Harry Hausverstand

    Ich hab’s selbst durchgemacht. Die größte Hilfe war nicht die Forschung, sondern der Mentor, der mir gesagt hat: „Schreib dir deine Ziele auf, und frag nach, wenn du unsicher bist.“ Die Uni sagt dir nicht, was du tun musst. Du musst es dir holen. Und ja, es ist hart. Aber es ist machbar. Wenn du nicht allein bist, kannst du es schaffen.

  9. Stephan Lepage

    Stephan Lepage

    leute ich hab ne tochter und bin in tenure track und die uni hat mir nen jahr verlängert aber nur weil ich gefragt hab und ne bescheinigung von der klinik geschickt hab. keiner sagt dir was du brauchst. du musst selber hingehen und schreien. sonst kriegst du nix. und wenn du nicht schreist, bist du schwach. punkt.

  10. Erica Schwarz

    Erica Schwarz

    Ich hab vor drei Jahren meinen Tenure-Track abgebrochen, weil ich merkte, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Ich hab jetzt einen Job in der Bildungsberatung und bin glücklicher als je zuvor. Es ist nicht scheitern, wenn du gehst. Es ist klug, wenn du dich selbst wertschätzt.

  11. Oliver Sy

    Oliver Sy

    Als akademischer Mentor habe ich über 30 Bewerber:innen durch den Tenure-Track begleitet. Die erfolgreichsten hatten drei Dinge gemeinsam: 1) Sie dokumentierten jede Lehrveranstaltung, jede Evaluation und jedes Gremiumsmitglied. 2) Sie bauten ein internationales Netzwerk auf - nicht nur durch Publikationen, sondern durch konkrete Kooperationen. 3) Sie sprachen früh mit der Personalabteilung über Elternzeit, Teilzeitmodelle und Verlängerungsanträge. Das ist kein Geheimnis - das ist Strategie. Und wer das nicht macht, hat keine Chance. Ich rate jedem: Mach einen Karriereplan. Jedes Jahr. Und teile ihn mit deinem Mentor. 📊✅

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