Citizen Science und Kommunen in Österreich: Wie Bürger Stadtentwicklung mitgestalten

Citizen Science in der Stadtentwicklung: Mehr als nur Daten sammeln

Stellen Sie sich vor, Sie können nicht nur beobachten, wie sich Ihr Viertel verändert, sondern selbst entscheiden, welche Probleme wichtig sind. In Österreich wird das Realität. Citizen Science - die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern an wissenschaftlichen Forschungsprojekten - ist kein Nischenphänomen mehr. In Wien, Graz und Linz gestalten Menschen aktiv die Zukunft ihrer Städte. Sie messen Lärm, kartieren Hitzeinseln, dokumentieren barrierefreie Wege und melden, wo es an Sicherheit fehlt. Diese Daten landen nicht in einer Schublade. Sie fließen direkt in die Planung von Straßen, Parks und Wohngebieten ein.

Wie funktioniert Citizen Science in österreichischen Städten?

Es gibt keine einzige Methode. Vielmehr kombinieren Projekte digitale Tools mit persönlichen Gesprächen. Die App City Layers, entwickelt vom Österreichischen Wissenschaftsfonds, ist ein Beispiel dafür. Seit 2021 können Nutzer*innen in Wien verschiedene „Schichten“ ihrer Stadt erfassen: Wie gut ist die Barrierefreiheit? Wie laut ist es an der Ecke? Wie sicher fühlt man sich nachts? Die Antworten werden mit GPS-Ortung gespeichert und anonymisiert aggregiert. So entsteht ein lebendiges Bild, das Stadtverwaltungen sonst nicht hätten.

Neben Apps gibt es Workshops, Spaziergänge und lokale Treffen. Im 6. Bezirk von Wien, in Gumpendorf, haben Forscher*innen der TU Wien mit Alleinerziehenden und Jugendlichen gemeinsam die Gumpendorfer Straße neu gedacht. Sie führten Interviews, machten Fotos und schrieben Briefe an die Stadt. Ergebnis: Die Teilnahmequote lag bei 78 % - weit über dem Durchschnitt von 35 % bei herkömmlichen Beteiligungsverfahren. Warum? Weil sie flexible Zeiten anboten, Kinderbetreuung organisierten und nicht nur digital, sondern auch analog arbeiteten.

Wer ist dabei? Universitäten, Museen und die Stadtverwaltung

Die größten Akteure sind klar: Die TU Wien führt mit 17 Projekten die Liste an. Das OeAD-Zentrum für Citizen Science koordiniert 12 Projekte. Die Stadt Wien selbst hat 24 Initiativen angestoßen. Doch etwas Besonderes passiert in Österreich: Museen und Bibliotheken werden zu Wissenszentren. Das Naturhistorische Museum Wien, das MAK und das MUMOK arbeiten mit der Stadtverwaltung zusammen. Sie bieten Räume, Fachwissen und Vertrauen - besonders für Menschen, die sich sonst nicht an Planungsprozessen beteiligen.

Das internationale Projekt OPUSH, an dem die TU Wien Bibliothek mit Partnern aus Barcelona und Tallinn beteiligt ist, hat 2024 einen Workshop mit 50 Expert*innen aus Wiener Behörden und Kulturinstitutionen organisiert. Ziel: Ein gemeinsames Datenmanagementsystem bis Ende 2024 aufzubauen. Das ist neu. Bisher wurden Daten oft isoliert gesammelt. Jetzt sollen sie zusammengeführt werden - zwischen Stadtverwaltung, Museen und Bürgern.

Bewohnerinnen und Bewohner in Gumpendorf gestalten gemeinsam mit Forschern die Straßenplanung mit Karten und Fotos.

Was funktioniert gut - und was nicht?

Die Zahlen sprechen für sich: Zwischen 2019 und 2024 ist die Zahl der Citizen Science-Projekte in Österreich von 30 auf 85 gestiegen. Wien hat mit 37 Projekten die Nase vorn, Graz folgt mit 12, Linz mit 9. Die Finanzierung kommt hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln - 68 % werden vom Bund oder den Gemeinden getragen. Die EU fördert 22 %, private Spenden spielen kaum eine Rolle.

Ein großer Erfolg ist die Einbindung marginalisierter Gruppen. In Gumpendorf stieg die Teilnahme von Alleinerziehenden von 22 % auf 67 %, als Kinderbetreuung angeboten wurde. In Leopoldau hingegen nahmen nur 28 % der Menschen mit Migrationshintergrund an Workshops teil - weil die Kommunikation nicht sprachlich angepasst war.

Die größte Schwäche? Die Verwaltung kommt nicht hinterher. Nur 42 % der gesammelten Daten fließen in die finale Planung ein. Warum? Weil Mitarbeiter*innen in den Ämtern keine Zeit haben, die Ergebnisse auszuwerten oder zu verarbeiten. Einige Bürger*innen beschweren sich auf Reddit: „Die Ergebnisse landen im Niemandsland.“

Warum ist Transparenz so wichtig?

Ein Projekt kann noch so gut geplant sein - wenn die Menschen nicht wissen, was mit ihren Daten passiert, verliert es Vertrauen. Dr. Eva Maria Kail, Stadtplanerin der Stadt Wien, warnte 2024: „Ohne klare Rückmeldung können Citizen Science-Projekte das Vertrauen der Bevölkerung untergraben.“ Tatsächlich sank die Teilnahmequote in Projekten ohne transparente Feedback-Systeme zwischen 2021 und 2023 um 18 %.

Die Lösung? Klare Regeln. Wer hat die Daten? Wer nutzt sie? Was passiert mit den Ergebnissen? In der Strategie „Citizen Science 2024-2028“ der Stadt Wien wurde das jetzt festgeschrieben: Jedes Projekt muss einen Bericht veröffentlichen, der erklärt, was mit den Daten passiert ist. Und: Die Stadt hat 1,2 Millionen Euro pro Jahr für diese Projekte bereitgestellt - eine Verdreifachung gegenüber 2021.

Datenströme verbinden Bürger, Museen und Stadtverwaltung in einem transparenten System der Stadtentwicklung.

Was braucht es, um Citizen Science erfolgreich zu machen?

Es geht nicht nur um Technik. Es geht um Prozesse. Der Leitfaden des OeAD sagt: Eine erfolgreiche Integration dauert durchschnittlich 14 Monate. Die ersten drei Monate müssen für die klare Fragestellung verwendet werden: Was genau wollen wir herausfinden? Die nächsten fünf Monate für die Teilnehmer*innenrekrutierung. Monate 7 bis 12 sind entscheidend: Hier muss kontinuierlich mit den Menschen kommuniziert werden - nicht nur am Anfang und am Ende.

Die TU Wien hat dafür den „Participation Readiness Check“ entwickelt. Ein Tool, das Stadtverwaltungen helfen soll, ihre eigene Bereitschaft zu prüfen. In einem Pilotprojekt mit der MA 22 (Wiener Stadtentwicklungsamt) verkürzte sich die Vorbereitungszeit um 30 %. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Was kommt als Nächstes?

2024 wurde der erste „CiTizenScience Award“ ausgerufen - mit 50.000 Euro Preisgeld für Projekte, die besonders marginalisierte Gruppen einbinden. Das ist ein Signal: Es geht nicht mehr nur um Daten. Es geht um Gerechtigkeit. Um Teilhabe. Um Macht.

Experten wie Prof. Dr. Markus Schmidt prognostizieren: Bis 2030 wird Citizen Science Standard in der österreichischen Stadtplanung sein. Die Bürgerbeteiligung wird von heute 35 % auf mindestens 65 % steigen - vorausgesetzt, die Verwaltung lernt, mit den Daten umzugehen. Die Stadt Wien hat bereits die Grundlage gelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass andere Städte nachziehen und dass die Menschen, die mitmachen, auch gehört werden.

Wie können Sie mitmachen?

  • Suchen Sie nach Citizen Science-Projekten in Ihrer Stadt auf osterreichforscht.at.
  • Probieren Sie die City Layers-App aus - auch wenn Sie nur eine Sache melden: Wo ist der Gehweg kaputt? Wo ist es zu laut?
  • Reden Sie mit Ihrer Gemeinde: Haben Sie schon einmal nachgefragt, ob es ein Citizen Science-Projekt in Ihrer Nachbarschaft gibt?
  • Unterstützen Sie lokale Museen und Bibliotheken - sie sind oft die ersten Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung.

Es geht nicht darum, ein Wissenschaftler zu werden. Es geht darum, ein Teil der Stadt zu sein - und zu sagen: Ich habe etwas zu sagen.