Fast jeder vierte Schüler in Österreich spürt es: die enge Kehle, das zitternde Herz, die Gedanken, die sich wie ein Kreislauf drehen: Matura-Prüfungsangst. Es ist nicht nur "nervös sein". Es ist das Gefühl, dass alles auf dem Spiel steht - und du dich nicht gut genug vorbereitet hast. Dabei ist diese Angst kein Zeichen von Schwäche. Sie ist normal. Und sie ist bewältigbar.
Warum die Matura so viel Druck ausübt
Die Matura ist mehr als eine Prüfung. Sie ist der Abschluss von zehn Jahren Schule, der Schlüssel zum Studium, zur Ausbildung, zum nächsten Lebensabschnitt. In Österreich ist sie die einzige Möglichkeit, an einer Universität einzutreten. Kein Wunder, dass viele Schüler:innen denken: "Wenn ich das nicht schaffe, ist alles vorbei." Doch die Realität sieht anders aus. Die Prüfungen sind nicht darauf ausgelegt, dich zu überfordern. Sie prüfen, ob du den Lehrstoff verstanden hast - nicht, ob du perfekt bist. Die meisten Fragen sind bekannt, die Formate sind standardisiert. Der Druck kommt nicht von der Prüfung selbst, sondern von deinen Gedanken darüber.Langfristige Strategien: Die Angst von Anfang an reduzieren
Angst wächst, wenn du dich unsicher fühlst. Und Unsicherheit entsteht, wenn du nicht weißt, was auf dich zukommt. Die beste Waffe dagegen: Vorbereitung.- Starte früh, aber nicht überstürzt. Wer erst in den letzten drei Wochen anfängt, hat keine Chance, den Stoff ruhig zu verarbeiten. Beginne mindestens drei Monate vor der Prüfung. Teile den Lernstoff in kleine, machbare Blöcke. Ein Tag, ein Thema - das ist realistisch.
- Nutze die Pomodoro-Methode. 25 Minuten konzentriert lernen, dann 5 Minuten Pause. Kein Handy, keine sozialen Medien. Nur du und dein Lernmaterial. Danach geh raus, trink Wasser, strecke dich. Dein Gehirn braucht Pausen, um zu speichern - nicht um zu explodieren.
- Erstelle Probetests. Nimm alte Matura-Prüfungen, setz dich an deinen Schreibtisch, setz eine Uhr auf 90 Minuten und lass los. Mach das mindestens drei Mal. Je öfter du die Situation simulierst, desto weniger fremd wird sie dir vorkommen.
- Lerne in der Gruppe. Reden über den Stoff ist das beste Gedächtnistraining. Erkläre deinem Freund, warum die Ableitung so funktioniert. Hör zu, wenn er dir erklärt, wie man ein chemisches Gleichgewicht aufstellt. Du wirst merken: Was du anderen beibringst, verstehst du selbst viel besser.
Die mentale Vorbereitung: Dein Gehirn trainieren wie einen Muskel
Du kannst nicht nur lernen - du kannst auch denken lernen. Deine Gedanken haben Macht. Wenn du ständig denkst: "Ich schaff das nicht", wird dein Körper darauf reagieren, als wäre es wahr.- Visualisiere die Prüfungssituation. Setz dich hin, schließ die Augen und stell dir vor: Du gehst in den Prüfungsraum. Du siehst die Prüfer:innen. Du nimmst den Fragebogen. Du atmest tief ein. Du liest die erste Frage - und du weißt: Ich kann das. Du antwortest ruhig. Du fühlst dich sicher. Mache das jeden Abend fünf Minuten lang. Dein Gehirn merkt: Das ist kein Albtraum. Das ist ein Szenario, das ich beherrsche.
- Vermeide Perfektionismus. Du musst nicht alles wissen. Du musst nicht alle Fragen perfekt beantworten. Du musst nur genug wissen, um zu bestehen. Die Matura ist keine Kunstausstellung - sie ist ein Test. Und Testergebnisse sind immer eine Zahl, kein Urteil über deinen Wert.
- Setz realistische Ziele. "Ich will 1,0" ist kein Ziel - das ist eine Fantasie. "Ich will die drei Themenbereiche, die mir am meisten Angst machen, bis zum 10. Dezember verstanden haben" - das ist ein Ziel. Kleine, messbare Schritte bauen Sicherheit auf.
Kurzfristige Techniken: Was du in der Prüfung tun kannst
Du sitzt in der Prüfung. Die Zeit läuft. Dein Herz pocht. Deine Hand zittert. Was jetzt?- Atme bewusst. Nimm fünf tiefe Atemzüge. Zähle: Ein - zwei - drei - einatmen. Halte - zwei - drei - ausatmen. Das signalisiert deinem Körper: Alles ist in Ordnung. Du bist nicht in Gefahr. Diese einfache Technik senkt die Herzfrequenz und beruhigt das Nervensystem.
- Verändere deine Körperhaltung. Setz dich aufrecht hin. Schultern zurück. Füße flach auf den Boden. Dein Körper sagt deinem Gehirn: Ich bin sicher. Kein zusammengesackter Haltung - das macht dich noch verletzlicher.
- Denkstopp. Wenn ein Gedanke wie "Ich schaff das nicht" auftaucht, mach ein klares Zeichen: Schnippe mit den Fingern. Sag laut (im Kopf): "Stopp!" Dann denk an etwas anderes - an dein Lieblingslied, an deinen Hund, an die Pizza, die du nach der Prüfung essen wirst. Unterbreche die Spirale.
- Sag dir etwas Gutes. Schreib dir drei Affirmationen auf einen Zettel: "Ich bin gut vorbereitet." "Ich verstehe mehr, als ich denke." "Ich schaffe das, weil ich es schon oft geschafft habe." Lies sie vor der Prüfung laut vor - oder halte sie in der Hand. Sie sind dein Anker.
Der Körper als Verbündeter: Essen, Bewegung, Schlaf
Du bist kein Computer. Du bist ein menschlicher Körper. Und der braucht Energie, Ruhe und Bewegung, um zu funktionieren.- Essen wie ein Gehirn. Kein Zucker, kein Energy-Drink, keine Pommes vor der Prüfung. Dein Gehirn braucht langsame Kohlenhydrate: Vollkornbrot, Haferflocken, Reis, Kartoffeln. Dazu Protein: Eier, Käse, Fisch, Hülsenfrüchte. Und Obst - Bananen, Äpfel, Beeren. Das gibt dir konstante Energie, keine Höhen und Tiefen.
- Bewege dich täglich. 30 Minuten Spaziergang, Radfahren, Tanzen, Joggen - egal was. Bewegung reduziert Stresshormone und produziert Endorphine. Du wirst dich klarer fühlen, auch wenn du weniger gelernt hast.
- Schlafe genug. Schlaf ist nicht faul. Schlaf ist Lernen. Während du schläfst, verarbeitet dein Gehirn alles, was du gelernt hast. Wer nachts bis 2 Uhr aufbleibt, um noch ein Kapitel zu pauken, löscht am nächsten Tag das, was er gelernt hat. 7-8 Stunden sind Pflicht.
Wen du ansprechen kannst - und wie
Du musst das nicht alleine durchstehen. In Österreich gibt es viele, die genau wissen, wie du dich fühlst.- Studierendenberatung Österreich bietet kostenlose Beratung für Schüler:innen an - telefonisch, online oder persönlich. Sie helfen dir, deine Ängste zu benennen und Strategien zu finden.
- Bildungsberatung Steiermark hat spezielle Programme gegen Prüfungsangst, die seit 2021 in vielen Schulen eingeführt wurden. Frag deine Lehrer:in, ob es ein Angebot an deiner Schule gibt.
- JugendService.at ist eine Plattform mit praktischen Tipps, Übungen und Erfahrungsberichten von Schüler:innen, die es geschafft haben. Du bist nicht allein.
- Deine Lehrer:innen sind nicht nur Prüfer:innen. Sie sind auch Menschen, die schon hunderte Maturant:innen begleitet haben. Sprich sie an. Sag: "Ich hab richtig Angst. Kannst du mir helfen?" Sie werden dir helfen.
Was nach der Matura kommt - und warum es nicht alles ist
Du denkst: "Wenn ich die Matura nicht bestehe, ist mein Leben kaputt." Das ist eine Lüge. Die Matura ist ein wichtiger Schritt - aber kein Endpunkt. Viele Menschen haben später noch eine zweite Chance, eine andere Ausbildung, einen anderen Weg. In Österreich gibt es mehrere Wege zum Studium: Berufsreifeprüfung, Studienberechtigungsprüfung, berufsbegleitende Studiengänge. Die Welt dreht sich nicht nur um die Matura. Und wenn du sie nicht mit 1,0 bestehst? Dann hast du trotzdem bestanden. Und du hast gelernt, wie du mit Angst umgehst. Das ist eine Fähigkeit, die dir im Studium, im Job, im Leben viel mehr nützt als ein perfekter Notendurchschnitt.Die Wahrheit, die niemand sagt
Die meisten Menschen, die die Matura mit Bravour bestehen, hatten auch Angst. Sie haben gezittert. Sie haben geweint. Sie haben sich gedacht: "Ich schaff das nicht." Aber sie haben trotzdem weitergemacht. Nicht, weil sie keine Angst hatten. Sondern weil sie gelernt haben: Angst ist kein Grund aufzuhören. Angst ist ein Signal - und du kannst lernen, es zu hören, ohne dich von ihm beherrschen zu lassen. Du bist stärker, als du denkst. Und du hast schon viel mehr geschafft, als du dir eingestehst. Die Matura ist nur ein Teil davon.Wie erkenne ich, ob ich unter Prüfungsangst leide?
Du leidest unter Prüfungsangst, wenn du körperliche Symptome wie Schweißausbrüche, Herzrasen, Übelkeit oder Kopfschmerzen hast, wenn du an die Matura denkst. Auch starke Vermeidung - zum Beispiel, dass du nicht mehr lernen kannst, weil du dich überwältigt fühlst - ist ein Zeichen. Wenn du dich oft fragst: "Ich schaff das nicht", oder wenn du dich mit anderen vergleichst und dich für minderwertig hältst, dann ist es mehr als normale Nervosität.
Kann ich Prüfungsangst alleine überwinden?
Ja, viele Schüler:innen schaffen das. Mit den richtigen Strategien - strukturiertes Lernen, Atemübungen, positive Selbstgespräche - kannst du deine Angst deutlich reduzieren. Aber du musst nicht alleine sein. Wenn du merkst, dass die Angst dich lähmt, dich schlafen lässt oder du dich isolierst, dann such dir Unterstützung. Das ist kein Zeichen von Schwäche - das ist klug.
Ist es sinnvoll, Medikamente gegen Prüfungsangst einzunehmen?
Medikamente wie Beruhigungsmittel oder Antidepressiva werden in Österreich nur bei schweren, klinisch diagnostizierten Angststörungen verschrieben - nicht für normale Prüfungsangst. Sie verstecken das Problem, statt es zu lösen. Psychologische Strategien wirken nachhaltiger und ohne Nebenwirkungen. Wenn du unsicher bist, sprich mit einem Psychologen - nicht mit einem Apotheker.
Was mache ich, wenn ich in der Prüfung komplett durchdrehe?
Dann atme. Fünf Mal tief ein und aus. Dann schließe die Augen für zehn Sekunden. Dann öffne sie wieder. Lies die erste Frage laut vor - auch wenn du nur flüstern kannst. Wenn du immer noch nicht weiterkommst, springe zu einer anderen Frage. Du musst nicht alles gleich beantworten. Die Prüfer:innen wissen, dass Angst passiert. Sie bewerten nicht, wie ruhig du bist - sondern was du aufs Papier bringst.
Warum hilft Gruppenlernen so viel?
Weil du nicht mehr allein bist. Wenn du jemandem etwas erklärst, zwingst du dein Gehirn, den Stoff zu strukturieren. Wenn du zuhörst, hörst du andere Perspektiven - und merkst: Andere haben die gleichen Fragen. Du fühlst dich nicht mehr als Versager, sondern als Teil einer Gruppe, die gemeinsam durchkommt. Das baut Sicherheit auf - und das ist die größte Waffe gegen Angst.
Wie kann ich meine Eltern überzeugen, dass ich Hilfe brauche?
Sprich mit ihnen, wenn du ruhig bist. Sag nicht: "Ich hab Angst." Sag: "Ich hab mich so viel vorbereitet, und trotzdem fühle ich mich überwältigt. Ich brauche nicht weniger Druck - ich brauche Unterstützung. Gibt es jemanden, mit dem ich sprechen kann?" Viele Eltern wissen nicht, wie sie helfen sollen. Gib ihnen eine klare Aufgabe: "Kannst du mich zu einem Beratungstermin bringen?"