Im Jahr 2025 nutzen fast drei Viertel aller österreichischen Schulen ein digitales Dashboard, um ihre Entwicklung zu steuern. Kein Science-Fiction, sondern Alltag im Bildungssystem. Seit Februar 2025 ist das BILIS-Dashboard für Volksschulen live - und es verändert, wie Schulen ihre Arbeit verstehen, planen und verbessern. Es geht nicht darum, Schulen zu bewerten oder zu rangieren. Es geht darum, konkrete Fragen zu beantworten: Warum fallen in unserer Klasse so viele Kinder im Deutschunterricht zurück? Wo liegen die Stärken unserer Schule im Vergleich zu ähnlichen Schulen? Welche Maßnahmen haben wirklich Wirkung?
Was genau ist das BILIS-Dashboard?
Das BILIS-Dashboard ist kein einfacher Bericht, sondern ein interaktives Werkzeug, das Schulleitungen, Lehrkräfte und Bildungsdirektionen mit Daten versorgt - und zwar so, dass sie handeln können. Es basiert auf Microsoft Power BI und greift auf Daten aus drei Hauptquellen zu: den BilDok-Meldungen (die Schulen jährlich an das Bundesministerium senden), den Ergebnissen der individuellen Kompetenzmessung iKM PLUS und den offiziellen Schulstatistiken des Statistischen Bundesamtes. Die Daten werden anonymisiert, aggregiert und so aufbereitet, dass sie für den Schulalltag nutzbar sind.Was macht das Dashboard besonders? Es ist schulartspezifisch. Eine Volksschule sieht 35 KPIs, eine Neue Mittelschule 41 und eine AHS 38. Jeder Indikator ist klar definiert: Abschlussquoten, Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund, Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Wiederholungsquoten, Ergebnisse in Lesen und Mathematik, Ressourcennutzung pro Schüler. Die Zahlen werden nicht nur als Statistik angezeigt, sondern als Zeitreihe - man kann sehen, wie sich die Werte seit 2018 entwickelt haben.
Wie funktionieren die KPIs in der Praxis?
KPIs sind keine Zahlen zum Abhaken. Sie sind Signale. Wenn die Abschlussquote einer Schule unter 85 % sinkt, wird das Dashboard nicht einfach rot leuchten. Es schlägt automatisch Handlungsempfehlungen vor: „Prüfen Sie die Förderstrategien in der 8. Schulstufe“, „Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit Schulen mit ähnlicher Schülerzusammensetzung“, „Analysieren Sie die Daten zu Schülerzufriedenheit im letzten Jahr“.Ein Beispiel aus der Pilotphase: Eine Volksschule in Graz stellte fest, dass ihre Deutschkompetenzen bei Kindern mit Migrationshintergrund deutlich unter dem Landesdurchschnitt lagen. Das Dashboard zeigte: Die Schule hatte zwar einen hohen Anteil an Förderlehrkräften, aber die Förderung erfolgte oft zu spät - erst ab der 4. Schulstufe. Mit diesem Wissen startete die Schule ein Frühförderprogramm ab der 2. Klasse. Ein Jahr später stieg die Durchschnittsnote in Deutsch bei diesen Schülern um 0,8 Punkte. Kein Wunder, sondern eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung, die nur mit Daten sichtbar wurde.
Wer sieht was? Drei Zugriffsebenen
Nicht alle sehen dieselben Daten. Das System ist bewusst aufgeteilt:- Lehrkräfte sehen nur ihre eigene Klasse: Lernstandsanalysen, individuelle Fortschritte, Vergleich mit der Klassendurchschnittsnote. Die Daten sind mit 95 % Genauigkeit validiert - sie können sich darauf verlassen.
- Schulleitungen bekommen die ganze Schule: Trends über mehrere Jahre, Vergleich mit anderen Schulen desselben Typs, Kennzahlen zur Ressourcennutzung, Ergebnisse von Eltern- und Schülerbefragungen.
- Bildungsdirektionen sehen Regionen: Welche Schulen in Oberösterreich haben die größten Lücken in Mathematik? Wo braucht es zusätzliche Förderlehrkräfte? Hier wird die Steuerung des gesamten Bildungssystems möglich.
Diese klare Trennung verhindert, dass Lehrkräfte sich von zu vielen Daten überfordert fühlen. Es gibt keine „Datenflut“ - nur das, was für die jeweilige Rolle relevant ist.
Warum ist das anders als in Deutschland?
In Bayern gibt es ein einheitliches Dashboard für alle Schulen - egal ob Grundschule oder Gymnasium. In Österreich ist das anders. Die Unterschiede zwischen einer Volksschule und einer AHS sind zu groß, als dass man sie mit einem einzigen System abbilden könnte. Deshalb hat das Qualitätsmanagement Schulen (QMS) separate Dashboards entwickelt. Das ist aufwendiger, aber viel präziser. Eine Volksschule braucht andere Indikatoren als eine AHS. Eine Volksschule misst zum Beispiel, wie viele Kinder nach der 4. Klasse in die weiterführende Schule wechseln. Eine AHS misst, wie viele Schüler das Abitur mit einer bestimmten Note abschließen. Diese Differenzierung macht das österreichische System einzigartig im deutschsprachigen Raum.Was fehlt noch? Die kritischen Lücken
Die Technik funktioniert - aber die Daten sind noch nicht vollständig. Ein großes Problem: Sozialdaten. Bislang werden weder der soziale Hintergrund der Schüler noch der Migrationsindex in die KPIs einbezogen. Das ist ein schwerwiegender Mangel. Denn wenn eine Schule eine niedrige Abschlussquote hat, kann das an vielen Dingen liegen: an der Qualität des Unterrichts, an der familiären Unterstützung, an der Sprachförderung. Ohne diese Daten bleibt das Dashboard blind für die eigentliche Ursache von Bildungsungerechtigkeit.Univ.-Prof. Dr. Andreas Helmke vom IQS hat es klar gesagt: „Erst mit Einbeziehung von Sozialindex-Daten erreichen wir echte Bildungsgerechtigkeit.“ Die gute Nachricht: Mit Version 2.1, die im September 2025 kommt, werden genau diese Daten integriert. Bis dahin bleibt die Analyse unvollständig.
Ein weiteres Problem: Inklusion. In 68 % der Schulen fehlen valide Daten zu Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Förderpläne sind oft veraltet, unvollständig oder gar nicht digital erfasst. Das bedeutet: Das Dashboard zeigt falsche oder fehlende Informationen - und das führt zu falschen Schlussfolgerungen.
Die Realität der Schulen: Daten, die nicht stimmen
Nicht nur die Daten fehlen - manche sind einfach falsch. Bei den BilDok-Meldungen liegen die Fehlerquoten zwischen 8,7 % (Volksschulen) und 14,2 % (berufsbildende Schulen). Das bedeutet: Ein Viertel der Schulen meldet ungenaue Schülerzahlen, falsche Lehrerstunden oder veraltete Räume. Und das wird dann in die KPIs eingerechnet. Eine Schule, die fälschlich angibt, sie habe 10 Lehrkräfte, erscheint als gut ausgestattet - obwohl sie nur 7 hat. Das führt zu falschen Vergleichen und falschen Empfehlungen.Ein Schulleiter aus Linz beschreibt es so: „Wir haben drei Jahre lang versucht, die Daten richtig zu melden. Aber das System ist kompliziert. Manchmal weiß man nicht, ob man einen Schüler als ‚mit Förderbedarf‘ melden soll oder nicht. Und wenn man sich irrt, bleibt das in der Statistik.“
Das BMBWF hat darauf reagiert: Bis Ende 2025 werden Schulbegleiter bei jeder Schule eingesetzt - Menschen, die helfen, die Daten richtig zu erfassen. Das ist ein wichtiger Schritt. Aber es braucht auch mehr Schulungen. Nur 22 % der Schulleitungen in der Pilotphase hatten statistische Grundkenntnisse. Wer soll dann die Zahlen verstehen?
Was funktioniert wirklich? Erfolgsfaktoren aus der Praxis
Trotz aller Probleme gibt es Schulen, die mit dem Dashboard erfolgreich arbeiten. Was unterscheidet sie? Sie haben ein Data-Team. Nicht nur die Schulleitung, sondern auch QM-Beauftragte, Fachkoordinatoren und manchmal sogar Lehrkräfte aus anderen Fächern arbeiten zusammen. Sie treffen sich monatlich, schauen sich die Daten an, formulieren konkrete Ziele und planen Maßnahmen.Die Fallstudie der PH Vorarlberg zeigt: Schulen mit solchen Teams erreichen 3,2-mal häufiger ihre Entwicklungsziele. Eine Schule in Salzburg hat mit diesem Team die Wiederholungsquote in der 3. Klasse um 18 % gesenkt - nicht durch mehr Nachhilfe, sondern durch gezielte Sprachförderung im Anfangsunterricht. Die Daten haben gezeigt: Kinder, die im ersten Halbjahr nicht mitkommen, wiederholen später. Also haben sie die Förderung schon ab September verstärkt.
Ein weiterer Erfolgsfaktor: Vergleich. 82 % der Schulleitungen nutzen die Benchmarking-Funktion täglich. Sie schauen: „Wie machen es die anderen?“ Das ist kein Wettbewerb - das ist Lernen. Eine Schule in Innsbruck hat gesehen, dass Schulen mit ähnlicher Schülerstruktur bessere Ergebnisse in Mathematik haben - weil sie mehr kooperatives Lernen einsetzen. Also haben sie das übernommen. Kein neues Programm. Kein teures Training. Nur eine einfache, datenbasierte Idee.
Technische Probleme und die Zukunft
Das Dashboard ist noch nicht perfekt. In den ersten Monaten des Live-Betriebs (Februar-März 2025) fiel das System bei 23 % der Schulen durchschnittlich 2,7 Stunden pro Woche aus. Das ist zu viel. Die Entwickler arbeiten daran: Bis Q3 2025 soll die Fehlerquote von 42 pro 1.000 Nutzerkontakte auf unter 15 sinken. Die Technik wird besser - aber es bleibt ein Risiko.Ein weiteres Risiko: Datenschutz. Die Datenschutzbehörde hat festgestellt, dass die Anonymisierung der Schülerdaten nur 78 % der DSGVO-Anforderungen erfüllt. Das ist knapp. Es gibt keine Strafen - aber es ist ein Warnsignal. Die nächste Version wird strengere Anonymisierungsregeln haben.
Die Zukunft? KI. Ein Pilotprojekt an 20 Wiener Schulen nutzt bereits künstliche Intelligenz, um Abschlussquoten vorherzusagen. Mit 87 % Genauigkeit kann das System sagen: „Dieser Schüler hat ein hohes Risiko, das Abitur nicht zu schaffen.“ Und dann wird automatisch ein Förderplan generiert. Das ist kein Traum - das ist Realität. Bis 2028 soll das auf alle Schulen ausgerollt werden.
Was bleibt? Die Verantwortung liegt bei uns
Das Dashboard ist kein Wundermittel. Es ist ein Spiegel. Es zeigt, was ist - aber nicht, was sein sollte. Es sagt nicht, was man tun muss. Es gibt nur Hinweise. Die Verantwortung liegt bei den Menschen: bei den Lehrkräften, den Schulleitungen, den Bildungsdirektionen.Die größte Gefahr ist nicht die Technik. Die größte Gefahr ist, dass man die Daten als Endpunkt nimmt - als fertigen Bericht, den man abgibt. Aber das Dashboard ist kein Abschlussbericht. Es ist ein Gesprächsanlass. Ein Ausgangspunkt. Ein Werkzeug, um zu fragen: Warum? Wie? Was können wir ändern?
Wer das Dashboard nur als Kontrollinstrument sieht, wird scheitern. Wer es als Lernwerkzeug nutzt, wird wachsen. Und das ist der wahre Sinn datengestützter Schulentwicklung in Österreich: nicht Kontrolle, sondern Entwicklung. Nicht Bewertung, sondern Verbesserung. Nicht Zahlen, sondern Menschen.
6 Kommentare
Nga Hoang
Diese Daten-Diktatur ist ein Witz. Wir brauchen keine Power BI-Dashboards, um zu wissen, dass Kinder in Deutschland bessere Chancen haben als in Österreich. Das ist Sozialismus mit Statistiken. Wer glaubt, dass Zahlen Bildungsgerechtigkeit schaffen, der hat noch nie eine Klasse unterrichtet.
Kyle Kraemer
Ich hab das Dashboard mal angeschaut. Hatte keine Lust, mich durch 41 KPIs zu klicken. Am Ende war mir egal. Solange die Lehrer nicht mehr Stress haben, ist mir das egal. Die Daten sind nur ein weiterer Grund, warum ich lieber wegziehe.
Susanne Lübcke
Was ist eigentlich Bildung? Eine Zahl? Ein Vergleich? Ein Dashboard, das uns sagt, wann wir scheitern? Ich frage mich, ob wir nicht die Menschlichkeit verloren haben, als wir anfingen, Kinder in KPIs zu verwandeln. Die Kinder sind nicht die Daten. Die Daten sind nur Schatten von ihnen.
karla S.G
Wie kann man nur so blöd sein? Sozialdaten fehlen? Und das ist ein Problem? Die Leute in Österreich haben doch eh alle Migrationshintergrund. Die Daten sind eh falsch. Und wer sagt, dass Deutschunterricht wichtig ist? Meine Tochter kann kein Deutsch, aber sie hat 3 iPhones. Das ist Bildung, Baby.
Stefan Lohr
Die BilDok-Meldungen haben eine Fehlerquote von bis zu 14,2 Prozent? Das ist nicht nur unprofessionell, das ist strafbar. Wer so etwas in einer öffentlichen Institution zulässt, sollte nicht mehr in einem Amt sitzen. Keine Entschuldigung, keine Ausrede. Daten sind keine Vorschläge. Sie sind Fakten. Und Fakten müssen stimmen.
Elin Lim
Daten zeigen nur was ist. Nicht was sein könnte. Und das ist der Punkt.