Stablecoin-Markt-Mikrostruktur: Spreads, Liquidität und Arbitrage

Stablecoins sollen stabil bleiben - bei genau einem Dollar. Doch wie funktioniert das eigentlich in der Praxis? Es ist nicht nur eine Frage von Reserven oder Versprechen. Es geht um die Stablecoin-Marktstruktur: die unsichtbaren Regeln, die bestimmen, wie Preise entstehen, wer Liquidität bereitstellt und wann Arbitrageur*innen eingreifen - oder eben nicht.

Die zweischichtige Struktur: Primär- und Sekundärmarkt

Stablecoins funktionieren nicht wie normale Aktien oder Währungen. Sie haben zwei separate Märkte. Der Primärmarkt ist der Ort, wo Stablecoins entstehen oder verschwinden. Hier tauscht ein Arbitrageur:in $1 gegen einen USDT oder USDC - und umgekehrt. Diese Transaktionen laufen direkt mit dem Emittenten ab: Tether Limited bei USDT, Circle bei USDC. Nur wenige haben Zugang dazu. Die NBER-Studie aus 2023 zeigt: Im Durchschnitt gibt es nur sechs aktive Arbitrageur:innen pro Monat, die USDT direkt beim Emittenten abholen oder abliefern können.

Der Sekundärmarkt ist alles andere als exklusiv. Hier handeln Millionen von Nutzer:innen auf Börsen wie Binance, Coinbase oder Kraken. Hier wird USDT für $0.99 oder $1.01 gehandelt. Die Preise schwanken - aber nur kurz. Normalerweise. Denn der Mechanismus, der diese Schwankungen korrigieren soll, ist seltsam verkrümmt: Diejenigen, die die Preise stabilisieren sollen, haben kaum Zugang zum Kern der Maschine.

Was ist Spread und Liquidität - und warum zählt das?

Stell dir einen Marktplatz vor, auf dem Leute Äpfel verkaufen. Einige bieten sie für 1 € an, andere verlangen 1,02 €. Der Unterschied - 0,02 € - ist der Spread. Bei Stablecoins ist der Spread normalerweise winzig: 0,01 % oder weniger. Doch wenn die Marktbedingungen kippen, wie im Mai 2022, dann reißt der Spread plötzlich auf. USDT fiel auf $0.95. Warum? Weil die Liquidität verschwand.

ist die Menge an Kauf- und Verkaufsaufträgen, die direkt am besten Preis liegen. Wenn du $100.000 USDT verkaufen willst, und nur $20.000 auf dem Markt zum Preis von $1 liegen, dann musst du die restlichen $80.000 zu immer niedrigeren Preisen verkaufen. Das nennt man Slippage. In der Praxis bedeutet das: Stop-Loss-Order laufen falsch, Händler verlieren Geld, und die Panik breitet sich aus.

Laut Tokenmetrics ist die 2%-Liquidität ein gutes Maß: Wie viel Geld liegt innerhalb von 2 % um den aktuellen Preis herum? Bei Bitcoin mag das Millionen sein. Bei weniger liquiden Stablecoins wie neuem, unbekanntem Token kann es unter $10.000 liegen. Und wenn du in einer Krise plötzlich $50 Millionen verkaufen willst? Dann bricht der Preis ein - und das, obwohl der Emittent theoretisch noch $1 pro Token zahlen könnte.

Arbitrage: Der Hebel, der nicht mehr greift

Arbitrage ist der Mechanismus, der Stablecoins stabil halten soll. Wenn USDT bei $0.98 handelt, kaufst du es, gehst zum Emittenten, gibst 1 Million USDT ab und bekommst $1 Million zurück. Gewinn: $20.000. Einfach. Oder?

Nicht so einfach. Denn der Emittent lässt nur sechs Personen pro Monat an den Primärmarkt. Warum? Weil die Reserven nicht flüssig sind. Tether hält nicht nur Bargeld - es hält Anleihen von Unternehmen, die schwer zu verkaufen sind. Wenn plötzlich tausende Anleger:innen USDT zurückgeben wollen, kann Tether nicht einfach alle Anleihen verkaufen, ohne den Preis zu brechen. Und wer kann das Risiko tragen? Nur wenige große Firmen mit Millionen an Kapital.

Das ist die Paradoxie: Je effizienter die Arbitrage funktioniert, desto größer wird das Risiko eines Laufs. Denn wenn die Arbitrageur:innen nur selten reinkommen, bauen sich Abweichungen auf. Und wenn sie dann endlich kommen, sind sie nicht stark genug, um den Markt zu stabilisieren - weil sie selbst Angst haben, dass die Reserven nicht reichen.

Zweischichtiger Markt: Oben chaotischer Handel, unten sechs Figuren vor einem Tresor mit illiquiden Vermögenswerten.

USDT vs. USDC: Warum eine Krise nicht alle trifft

Im Mai 2022 brach TerraUSD (UST) komplett zusammen. Es war ein algorithmischer Stablecoin - kein echtes Geld als Rücklage. Aber USDT, der größte Stablecoin der Welt, fiel auch auf $0.95. Warum? Weil seine Reserven weniger sicher waren als die von USDC.

Die Hong Kong Monetary Authority untersuchte das Ereignis und kam zu einem klaren Ergebnis: Die Qualität der Reserven ist der entscheidende Faktor. USDC hält fast ausschließlich kurzfristige US-Staatsanleihen und Bargeld - Dinge, die man jederzeit verkaufen kann. Tether hält unter anderem Anleihen von privaten Firmen, Krediten und sogar Immobilien. Das ist kein Bargeld. Das ist ein Risiko.

Als USDT auf $0.95 fiel, stieg USDC nicht - es blieb bei $1.00. Warum? Weil die Leute wussten: Wer USDC hat, kann es jederzeit zu $1 zurückkaufen. Wer USDT hat, weiß nicht, ob das wirklich geht. Das ist kein technisches Problem. Das ist ein Vertrauensproblem - und es wurzelt in der Mikrostruktur.

Was passiert, wenn der Markt kippt?

Stell dir vor: Eine große Börse hat 500 Millionen USDT auf Lager. Plötzlich verkaufen alle. Die Liquidität auf dem Sekundärmarkt verschwindet. Der Spread öffnet sich. Die Preise stürzen. Die Arbitrageur:innen wollen eingreifen - aber sie können nicht. Der Emittent sagt: „Ich kann nicht mehr auszahlen.“ Warum? Weil seine Reserven nicht liquide sind. Und plötzlich ist der ganze Mechanismus kaputt.

Das ist kein Science-Fiction. Das ist genau das, was im Mai 2022 passierte. Nutzer:innen berichteten auf Reddit und Coinbase-Foren von extremen Slippage. Stop-Loss-Order lösten bei $0.92 aus, obwohl der Preis kurz danach wieder bei $0.98 lag. Die Verluste waren real. Die Panik war real.

Die NBER-Studie nennt das „limits to arbitrage“ - Grenzen der Arbitrage. Und sie sagt: Wenn du die Arbitrageur:innen nicht mehr an den Primärmarkt lässt, dann wird der Sekundärmarkt instabil. Aber wenn du sie lässt - und die Reserven sind illiquide - dann wird der Lauf nur noch größer.

Zerbrechliche Papierbrücke zwischen USDC und USDT, eine Figur zögert auf der Mitte, goldenes Licht wirft Schatten.

Die Zukunft: Yield-Bearing Stablecoins und neue Risiken

Die Zukunft der Stablecoins ist nicht nur besserer Reservenmanagement. Sie ist auch komplexer. Neue Stablecoins bringen Zinsen mit - sie sind „yield-bearing“. Du gibst USDC in ein Protokoll ein, und bekommst 5 % Zinsen pro Jahr. Klingt gut? Ja - bis du merkst: Diese Zinsen kommen nicht vom Emittenten. Sie kommen von DeFi-Protokollen wie Aave oder Compound. Und wenn diese Protokolle zusammenbrechen? Dann verlierst du nicht nur deine Zinsen - du verlierst den Wert deiner Stablecoins.

Galaxy Research warnt: Diese neuen Modelle verbinden Stablecoins mit Kreditrisiken, Liquiditätsrisiken und Smart-Contract-Risiken. Die Mikrostruktur wird nicht einfacher - sie wird zu einem Netzwerk aus Abhängigkeiten. Ein Absturz in einem Protokoll kann sich über Stablecoins auf andere Märkte ausbreiten.

Was bleibt?

Stablecoins sind nicht nur ein Werkzeug für Krypto-Händler:innen. Sie sind die Pumpen, die den ganzen Kryptomarkt am Leben halten. Über 50 % aller Kryptotransaktionen laufen über Stablecoins. Sie sind der Boden, auf dem alles andere gebaut ist.

Aber dieser Boden ist nicht aus Beton. Er ist aus Pappe - und die Stützen sind versteckt. Die Preise bleiben stabil, solange niemand nachfragt. Sobald viele gleichzeitig nachfragen, bricht alles zusammen - nicht wegen Technik, sondern wegen Design.

Die Lösung? Zwei Dinge müssen passieren: Erstens, die Emittenten müssen ihre Reserven transparenter und liquider machen. Zweitens, der Primärmarkt muss offener werden. Mehr Arbitrageur:innen = weniger Druck auf den Sekundärmarkt. Aber das kostet Geld. Und das will niemand bezahlen - solange alles funktioniert.

Die Krise von 2022 war kein Ausreißer. Sie war eine Warnung. Und die Zeit läuft.

1 Kommentare

  1. Helga Goldschmidt

    Helga Goldschmidt

    Ich find's krass, wie viele Leute denken, Stablecoins wären wie Bargeld. Aber nein, das ist nur ein Versprechen, das auf Pappe steht. Wenn alle gleichzeitig reinlaufen, bricht das alles zusammen. Einfach so.

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